Mit Blattgold, Knochenmehl und Kreide

HANDWERK In einer Werkstatt am Kreuzberger Engelbecken entstehen Bilderrahmen in aufwendiger Handarbeit und mit traditionellen Materialien. Die Stammkundschaft trotzt allen Krisen: Wem Kunst ein maßgefertigter Rahmen wert ist, weiß, dass der seinen Preis hat

In manchen Monaten entstehen aufwandsbedingt 20 Rahmen, in anderen an die 100

VON GINA BUCHER

Wenn ausländische Staatsoberhäupter bei ihrem Berlinbesuch ein Bild geschenkt bekommen und damit lächelnd für die Fotografen posieren, kann es gut sein, dass sie ein Kreuzberger Qualitätsprodukt in den Händen halten: den Rahmen, der in Margit Rechnitzers Werkstatt im Engelbecken-Hof gebaut wurde.

Eine blumenumrankte Tür führt am Leuschnerdamm in eine von gerade mal einem halben Dutzend Berliner Rahmenbauer-Werkstätten. Nur auf den ersten Blick herrscht hier heimeliges Chaos. Alles hat seine Ordnung, wenn sich die 61-jährige Rechnitzer und ihre beiden Rahmenbauer Edgar Haizmann, 57, und Enrico Steinhausen, 31, darin bewegen. Zwischen Musterwinkeln aus Ahorn, Eiche oder Silber hängt Steinhausens Gesellenstück, ein gotisches Triptychon mit einer selbstgemalten Parsifal-Szene. Es entstand zum Ende seiner Lehrzeit hier und ist der Stolz der Werkstatt.

Rechnitzer berät die Kunden und tätigt die „Kaufmenscharbeiten“, wie die gebürtige Thüringerin ihre Arbeit lachend beschreibt. Die ehemalige Mathelehrerin kam zufällig zum Rahmenbau. In einer ruhigen Minute zieht sie die Schublade auf und zeigt ihre Ebay-Trouvaillen, die sie mit Berliner Leisten vom Trödel an der Straße des 17. Juni rahmen will. „Die Berliner Leisten haben es mir angetan“, verrät sie. Das schlichte, sehr elegante Profil entstand gegen Ende des 18. Jahrhunderts als preußische Sparmaßnahme: Weil Gold zu teuer war, wurden die Leisten mit Goldlack behandelt.

Während Rechnitzer vorne die Auftragsnummern verteilt, beginnt ganz hinten die Herstellung der Rahmen. In einem separaten Raum sägen Haizmann und Steinhausen die rohen oder vorgrundierten, teils profilierten Leisten auf die gewünschte Länge zurecht, es riecht nach Holzspänen und Lack. Als drei Meter lange Stücke werden die Leisten von einem ehemaligen Vergolder in Süddeutschland geliefert, der sie nach den Entwürfen der Werkstatt fräst. Die Größen sind so individuell wie die gerahmten Werke. Es ist schon vorgekommen, dass Haizmann die Leisten im Museum zusammenbauen musste – der fertige Rahmen hätte nicht mehr durch die Tür der Werkstatt gepasst.

Die Geschichte des Rahmens geht zurück ins 15. Jahrhundert, seither arbeiten Rahmenbauer mit einigen wenigen Standardprofilen und deren unzähligen Varianten. Die meisten Rahmen bauen Haizmann und Steinhausen für Privatleute, ab und zu rahmen sie aber auch für die Alte Nationalgalerie. Keine gute Kundin ist die Neue Nationalgalerie: Die Avantgarde hat das Werk aus dem Rahmen gehoben.

Auf einem weiteren Arbeitstisch leimen Haizmann und Steinhausen die zugeschnittenen Stücke zusammen. Das Geheimnis einer eleganten Rahmenkonstruktion ist die sogenannte Gehrung: Die Eckfuge verbindet die Leisten zu einem 90-Grad-Winkel. Für die Grundierung köchelt Leim aus Tierhäuten auf einer Kochplatte, in einem anderen Topf wird ein Gemisch aus Knochenmehl und Kreide gewärmt. In Abgussformen aus Silikon gegossen bildet er die Grundlage für die Verzierungen der Oberflächen.

Edgar Haizmann baut nicht nur Rahmen, er restauriert und vergoldet sie auch. Komplizierte Fälle sind sein Spezialgebiet: Wenn er von den Tricks erzählt, wie er alte Oberflächen kopiert, leuchtet in seinen Augen detektivische Freude. Vieles hat er dafür selbst erforscht, durch Ausprobieren und genaues Hinsehen in Museen: „Es gibt ja lediglich ein paar Standardbücher für die Grundkenntnisse.“

Das Handwerk des Vergolders lernte Haizmann in den Siebzigern in Stuttgart. Kaum hatte er sein Meisterstück abgegeben, floh er aus der Enge der Provinz, um in Kreuzberg erst ein Haus zu besetzen und später am Moritzplatz die Neuen Wilden kennenzulernen. Margit Rechnitzer traf er viele Jahre später in einer Rahmenmacher-Werkstatt an der Oranienstraße. Als diese nach der Wende zumachte, gründeten die beiden die jetzige Werkstatt.

Haizmann holt die Vergolder-Utensilien aus einem Schrank. Er legt den pinselähnlichen Anschießer, ein Vergoldermesser und ein Kissen aus Wildleder auf den Tisch, aus einer Zigarettenkiste zieht er mehrere Heftchen Blattgold à 23 Karat. Weil das extrem dünne Gold statisch aufgeladen ist, braucht es das Kissen. Haizmann befeuchtet den Rahmen, trägt das Gold auf und reibt anschließend sorgfältig, bis die passende Patina entsteht.

Die Arbeit von Haizmann und Steinhausen ist eine Gratwanderung zwischen dem Dienst am Kunstwerk und dem eigenen künstlerischen Beitrag. Kunden, die ihre Bilder rahmen lassen, wollen das Kunstwerk vor jeder Veränderung durch Abrieb und Licht schützen – der Rahmen hingegen soll möglichst schön altern. Ein passender Rahmen unterstreicht das Kunstwerk, ohne davon abzulenken. Nicht jeden Auftrag übernimmt Haizmann gern. Ab und zu kommen Kunden mit Fotos ihrer neuen Möbel, damit der Rahmen farblich ins Wohnkonzept passt. „Solche Kunden sind selten kritikfähig“, sagt Haizmann, ohne Verständnis vorzutäuschen.

Stammkunden im Schwarzwald

Wer glaubt, Bilderrahmen seien hinfällig im Zeitalter von Hipstamatic und einer Kunst, die Entgrenzung sucht, der täuscht sich. Das Geschäft, verrät Rechnitzer, habe sich in den letzten Jahren kaum verändert, trotz diverser Krisen: „Wer einen maßgefertigten Rahmen möchte, hat auch das Geld dafür.“ Ihre gut 50 Stammkunden kommen nicht nur aus Berlin, viele auch aus Hamburg, einige sogar aus dem Schwarzwald. Die Rahmen, die am Engelbecken entstehen, sind schließlich Unikate, die nichts mit den industriellen Rahmen aus dem Ikea-Katalog gemein haben. In manchen Monaten entstehen aufwandsbedingt 20 Rahmen, in anderen an die 100.

Maßgefertigte Rahmen haben ihren Preis. Einen einfachen gibt es ab 30 Euro, ein aufwendigerer kann bis 5.000 Euro kosten. Auch genügend Geduld muss der Kunde haben: Jeder Arbeitsschritt baucht Zeit, der Leim muss trocknen, der Gips aushärten. Nur im Ausnahmefall müssen mal zwei Stunden reichen: etwa als im Juni das Auswärtige Amt anrief und eine Grafik als Geschenk für Barack Obama gerahmt haben wollte – so schnell wie möglich.