KOMMENTAR VON JAN FEDDERSEN ÜBER DAS TV-DUELL
: Der Swing State

Es ist mehr politische Wachheit im Publikum, als selbst die Opposition annahm

Leidenschaft ist jener Gemütszustand, von dem die Union und mit ihr die FDP hofften, dass er in diesem Wahlkampf keine Rolle spielen würde. Sie könnten nun doch irren. Angela Merkel und die ihren hatten bis Sonntagabend 20.30 Uhr ihre Schäfchen weitgehend ins Trockene gebracht. Die Botschaft, die selbst im gegnerischen sozialdemokratisch-alternativen Lager lähmenden Widerhall fand, ist seit Monaten stets die gleiche: die Kanzlerin – alternativlos.

Wie Mehltau hatte sich diese Haltung über das politische Empfinden gelegt. Diese verordnete „Ruhe ist die erste Bürgerpflicht“-Mentalität – „Keine Experimente!“ – hatte in den Fünfzigern mit Konrad Adenauer als Unionskopf Erfolg. Aber keine demokratische Regierung ist alternativlos und diese schon gar nicht.

Mit Steinbrücks Performance im „Duell“ ist wieder echtes Leben in den Wahlkampf gekommen. Wie erholsam – und politisch! Deutschland ist ein Swing-Staat. Einer wie in den USA, wo bis zum Schluss offen ist, wer welche Wähler und Milieus mobilisiert und wie erfolgreich.

Merkels Stil der Politik, der mit autoritärer Trutschigkeit eher noch freundlich beschrieben werden kann, ist bei diesem TV-Kampf auf vier Kanälen kenntlich geworden, und zwar durch die Alternative selbst. Steinbrück, so unbeholfen das gelegentlich wirkte, artikulierte eine Haltung von politischem Wollen, die die Wählenden aus den rot-grünen Lagern mobilisieren wird. Er thematisierte, was sich gehörte. In einem Wort: die Verlierer der Merkel’schen Politik. Jene, die man „einfache Leute“ nennt, die so etwas wie Zukunft haben möchten – und die im Übrigen in ModeratorInnen wie Stefan Raab oder Anne Will am ehesten repräsentiert waren: frech, weil nicht unterwürfig der Regierenden gegenüber.

Seit Sonntag ist wieder Musik in dieser eigentlich abgehakten Geschichte namens Wahlkampf. Merkel wird kein einfach nur akklamiertes Votum erhalten. Wenn die SPD und die Grünen jetzt nicht nur vor sich hin meckern, sondern kämpfen, auch wenn das richtig anstrengt, ist selbstverständlich ein Wechsel möglich. Fallen sie wieder in den Modus der Desinteressiertheit, diffamieren sie die Millionen vor den Fernsehern, die offenbar einem wie Steinbrück eine Chance geben wollen. Es ist mehr politische Wachheit im Publikum, als die Opposition selbst anzunehmen bereit war. Ob sie dieses Kapital nutzt, entscheiden sie allein. Wenn überhaupt: mit Leidenschaft.