„Die Linke hat mehr Raum“

Für SPD-Vorstand Andrea Nahles eröffnet das Scheitern der WASG im Westen dem linken Parteiflügel die Chance, sich in der großen Koalition mehr Gehör zu verschaffen

taz: Zufrieden, Frau Nahles?

Andrea Nahles: Ja. Ich bin Rheinland-Pfälzerin. Wir sind überwältigt. Dass wir unser historisch gutes Ergebnis von 2001 noch würden toppen können, und das auch noch trotz der WASG-Konkurrenz – das hatten wir nicht erwartet.

Sie sind ja aber nicht nur Rheinland-Pfälzerin, sondern auch Mitglied des SPD-Bundesvorstands. Worauf führen Sie denn das katastrophale Abschneiden Ihrer Partei in Baden-Württemberg zurück?

Ich habe dort im Wahlkampf eine Motivationsschwäche erlebt, genau wie in Rheinland-Pfalz bei der CDU. Die jeweilige Opposition hat gemerkt, dass es keine Wechselstimmung in den Ländern gab. Es hat im Wahlkampf auch keine Polarisierung stattgefunden. Das ist immer schlecht für eine Opposition.

Wurden gestern in erster Linie Parteien oder Personen gewählt?

Mir fällt eine pauschale Antwort schwer, weil ich nicht glaube, dass Günther Oettinger als Person gewählt worden ist. In Baden-Württemberg hat meiner Ansicht nach eindeutig die CDU gewonnen. Bei uns in Rheinland-Pfalz ist das Ergebnis stärker personenbezogen als Erfolg für Kurt Beck zu sehen. Es gibt deutliche Unterschiede zwischen den drei Ländern, deshalb kann man die Ergebnisse meiner Meinung nach auch nicht so eindeutig auf die Bundesebene zurückbuchen.

Sie halten den Wahlausgang also nicht für eine Bestätigung der großen Koalition?

Ich wäre da vorsichtig. Ich kann überhaupt keine besondere Botschaft für die Bundespolitik erkennen. Ich glaube eher, dass die Ergebnisse die Stärken und Schwächen der jeweiligen Landesparteien widerspiegeln.

Sie gelten als Vertreterin der Parteilinken. Wird es für Sie und Ihre Mitstreiter nun schwerer, sich in der großen Koalition noch Gehör zu verschaffen?

Nein, das glaube ich überhaupt nicht. Bei Themen wie der Föderalismusreform und der Gesundheitspolitik werden wir jetzt ganz konkret in die Auseinandersetzung gehen. Die Linke hat dadurch, dass die WASG gescheitert ist, mehr Raum. Wenn die WASG erfolgreich ist, haben wir Abgrenzungsdruck in der eigenen Partei. Ich halte es für einen großen Erfolg der gesamten SPD, dass wir es geschafft haben, die WASG im Westen aus den Parlamenten fern zu halten.

Worauf führen Sie die niedrige Wahlbeteiligung zurück?

Wenn 70 Prozent der Leute sagen, dass sie kaum noch Unterschiede zwischen SPD und CDU wahrnehmen können, dann ist das für die demokratische Parteienlandschaft ein Problem. Deshalb muss es auch in der großen Koalition darum gehen, eigenständige Konzepte zu erarbeiten. Ich möchte, dass die SPD weiterhin erkennbar bleibt.

Jetzt beginnen die Gespräche über eine Reform des Gesundheitswesens. Sie haben das Konzept der Bürgerversicherung in der SPD durchgesetzt. Sehen Sie Ihre Position nach den Wahlen nun eher gestärkt oder eher geschwächt?

Da hat sich wenig geändert. Eine reine Bürgerversicherung wird es in der großen Koalition sicherlich nicht geben, aber ich lege Wert darauf, dass keine Mini-, Midi- oder Maxikopfpauschale kommt. Außerdem darf keine Festlegung erfolgen, die auch für die Zukunft eine Bürgerversicherung erschwert oder unmöglich macht. INTERVIEW: BETTINA GAUS