Freiheit statt Angst

Am kommenden Samstag wird in Berlin gegen staatliche Überwachung und Datensammelwut protestiert – der aktuelle Anlass könnte kaum dramatischer sein

Demonstration

Wann: Samstag, 7. September

Start: 13 Uhr, Alexanderplatz (Karl-Marx-Allee)

■ Im Netz:

www.freiheitstattangst.de

■ Am Samstag in der taz

Die Titelseite der sonntaz, der Wochenendbeilage der taz, wird als demotaugliches Accessoire gestaltet. Dazu gibt es außerdem noch ein Essay von Leena Simon: „Überwachung ist die Autoimmunerkrankung der Demokratie“. Also am Samstag zum Frühstück die taz aufschlagen oder später auf der Demo gratis eine taz abstauben.

„Georg Orwell’s 1984 ist keine Betriebsanleitung“ war auf einem Pappschild auf der letzten „Freiheit statt Angst“-Demonstration 2011 zu lesen. Inzwischen hat sich bewahrheitet, was Verschwörungstheoretiker immer schon vermutet hatten: Wir werden überwacht, anlasslos, kontinuierlich und so intensiv, wie es der Stand der Technik zulässt. Die Empörung über den NSA-Skandal ist groß. Doch politische Konsequenzen haben die Enthüllungen des Whistleblowers Edward Snowden bisher nicht gehabt. Nun ruft ein breites gesellschaftliches Bündnis für Samstag, den 7. September zur bundesweiten Großdemonstration nach Berlin auf.

Zwei Wochen vor der Wahl können die Bürger zeigen, dass sie genug haben. „Wir haben es satt – die seichten Ausreden, den fehlenden Willen zur Aufklärung und die Arroganz, die Diskussion kurzerhand für beendet zu erklären. Es geht auch nicht nur um die NSA, sondern um die deutschen Überwachungsgesetze, um die Vorratsdatenspeicherung und IT-Großprojekte, die unseren Alltag immer lückenloser kontrollierbar machen“, so Rena Tangens von Digitalcourage, einem Verein, der sich für Bürgerrechte im digitalen Zeitalter einsetzt.

Der NSA-Skandal wird am Samstag ein inhaltlicher Schwerpunkt sein. Die Enthüllungen des ehemaligen NSA-Mitarbeiter Edward Snowden haben eine neue Dimension staatlicher Überwachung aufgedeckt. Der US-amerikanische Geheimdienst NSA und der britische GCHQ betreiben eine systematische Vollerfassung unserer Kommunikation. Globale Internetdienste wie Google und Facebook mussten zugeben, der NSA den direkten Zugriff auf ihre Datenbanken zu ermöglichen. Millionen von Internetusern haben diesen Diensten nicht nur ihre persönlichen Daten anvertraut, sie haben dort auch eine Fülle von Informationen über Freunde, Bekannte und Verwandte abgespeichert.

Freiheit, Demokratie und Privatsphäre sehen Datenschützer und Bürgerrechtler aber nicht nur durch ausländische Geheimdienste bedroht. Mit Blick auf die Bundesrepublik stellte Frank Bsirske, Vorsitzender der Dienstleistungsgesellschaft Ver.di, bereits im Jahre 2009 als Redner auf der „Freiheit statt Angst“-Demonstration fest: „Tatsächlich ist mit dem Einsatz der Informations- und Kommunikationstechnik der Kontrollwahn ausgebrochen – in Staat, Wirtschaft und Arbeitswelt.“ Er warnte, dass gerade wir als Deutsche nur zu gut wüssten, wie fragil eine Demokratie ist und wozu ein politisch motivierter Zugriff auf zentrale Datenbank führen könnte – auf Datenbanken, die Angaben über die sexuelle Neigung, den Gesundheitszustand oder die politischen Überzeugung gespeichert haben.

Die erste Demonstration mit dem Motto: „Freiheit statt Angst – Stoppt den Überwachungswahn“ fand bereits 2006 statt. Im digitalen Zeitmaßstab also vor einer kleinen Ewigkeit. Seitdem haben sich Überwachungstechnik und Datenanalyse revolutioniert. Handyortung, Kameraüberwachung, Facebook und RFID-Chips im Personalausweis, das digitale Mosaik unseres Lebens gewinnt an Kontur. Mit dem zunehmenden Bewusstsein oder auch Unterbewusstsein, dass unsere Lebensabläufe und unsere Kommunikation überwacht werden, wird sich auch unser Verhalten ändern. Rena Tangens von Digitalcourage warnt vor einer schleichenden Anpassung an den Überwachungsstaat. „Wir werden nicht aus Angst vor angeblichem Terror unseren Rechtsstaat freiwillig aufgeben. Und wir wollen uns nicht an den permanenten Ausnahmenzustand gewöhnen. Wann, wenn nicht jetzt, ist es Zeit, auf die Straße zu gehen“, sagt Rena Tangens und sie zitiert die italienische Journalistin Franca Magnani: „Je mehr Menschen mit Zivilcourage ein Land hat, desto weniger Helden wird es einmal brauchen.“

Bürgerrechtsorganisationen, Gewerkschaften, Berufsverbände von Journalisten, Ärzten und Juristen, Beratungsstellen wie die Aids-Hilfe, Amnesty International, der Bundesverband der Verbraucherzentralen und mehr als 70 weitere Organisationen rufen zur Demonstration auf. Es ist ein beeindruckendes Bündnis, das sich hier für eine freie, demokratische und offene Gesellschaft einsetzt. Auf der Webseite des Bündnisses findet sich eine konkrete Liste an Forderungen, von der Vorratsdatenspeicherung bis zur digitalen Gesundheitskarte – das Ziel: Überwachung abbauen und einen wirksamen Datenschutz einführen.

JÖRN ALEXANDER