„Es fehlt an Verantwortung“

Die Konzerne lassen die Menschen im Ruhrgebiet in Stich. Der Oberhausener Stadtentwickler Roland Günter fordert Betriebsräte auf, gegen die Abwanderung des Geldes zu kämpfen

INTERVIEW HOLGER PAULER

taz: Herr Günter, wird das Ruhrgebiet immer noch von den Konzernen regiert?

Roland Günter: Das Ruhrgebiet hat eine enorme Konzerndichte. In Essen haben etliche Konzerne ihren Sitz: RAG, RWE, Aldi etc. So viele wie bundesweit in keiner anderen Stadt. Das ist gut für die Stadt und die Menschen, die dort leben. Natürlich bin ich kein Freund der Konzerne. Sie müssten viel mehr Verantwortung haben.

ThyssenKrupp sagt, dass sie sich „den Wurzeln des Ruhrgebiets verpflichtet“ fühlen und verlegt die Konzernzentrale von Düsseldorf nach Essen. Ist das mehr als nur Symbolik?

Das Problem der Region: Die „Kohle“, die im Ruhrgebiet gemacht wurde, ist in der Vergangenheit weitgehend aus dem Ruhrgebiet abgezogen worden. Nach Köln, Krefeld oder Berlin. Dort saßen die Aktionäre und spekulierten damit weiter. Das ist die eigentliche Tragödie dieser produktiven Landschaft.

Die Menschen in der Region haben davon nicht profitiert?

Kaum. Der frühere Chef der IG Metall, Franz Steinkühler, hat Mitte der 80er Jahre den eigenen Leuten in den Betriebsräten zugerufen: „Lasst es nicht zu, dass das Geld abwandert. Wehrt euch.“ Die Konzerne haben die Gewinne aus der Region herausgezogen und woanders investiert. Steinkühler war ein kluger Kopf und er hat dies gewusst. Er hat gesagt, „ihr müsst die Mitbestimmung nutzen, damit das Geld hier bliebt“. Später ist er darüber gestolpert, dass er angeblich Insiderwissen zu Aktienkäufen genutzt hat. Das waren Peanuts. Aber Industrie und Gewerkschaft waren froh, den unbequemen Steinkühler losgeworden zu sein.

Das Geld ist nun weg. Die verschuldeten Kommunen versuchen sich durch Verkäufe von Immobilien, Straßen oder anderem zu sanieren.

Die Kommunen stecken in der Schuldenfalle. Alles, was sie jetzt verkaufen, hilft ihnen nicht einmal kurzfristig. Das Geld wird verfrühstückt. Die Schulden bleiben. Es ist ein strukturelles Problem. Die Kommunen arbeiten defizitär. Ohne ein Veränderung auf Bundesebene sehe ich keinen Ausweg.

Der Vorstoß der Stadt Dresden, sich vom städtischen Wohnungsbestand zu trennen, ist kein geeignetes Mittel zur Entschuldung?

Die Städte verschleudern ihr Tafelsilber. Und an wen? An US-amerikanische Fondsgesellschaften. Diesen Gesellschaften geht es einzig um den Profit. Sie spekulieren mit Rentengeldern. Und die Mieten wandern um die Welt.

Der ehemalige Oberhausener Oberbürgermeister Burkhard Drescher (SPD) hat als Vorstand der RAG-Immobilien die Kommunen an Rhein und Ruhr aufgefordert, sich von ihren Beständen zu trennen.

Das war ein falsches Signal. Drescher spricht hier einzig im Interesse der RAG. Aber: Er war eigentlich ein Hoffnungsträger. Er hatte immer einen Blick für Regionalentwicklung. Aber vielleicht kann er dies beim RAG-Konzern nicht verwirklichen. Ich frage mich, warum RAG-Immobilien nicht den Wohnungsbestand von ThyssenKrupp oder von der Landesentwicklungsgesellschaft (LEG) aufkauft. Wohnungen in Hand der RAG sind immer noch besser, als in Händen von Fondsgesellschaften.

Aber die RAG will doch auch an die Börse.

Ich begreife nicht, warum dabei Wohnungsbestände stören sollen? Diese Immobilien sind nicht unwirtschaftlich. Ich könnte ihnen etliche kleine Wohnungsbaugesellschaften nennen, in denen das funktioniert. Es gibt doch auch eine Verantwortung der Konzerne, der Kommunen oder auch des Landes gegenüber den Menschen, die in ihrer Region wohnen. Das Land will sich von der LEG trennen. 106.000 Wohnungen – eine Katastrophe. Öffentliche Wohnungen sind ein Instrument sozialer Politik. Dies dient doch auch zur Verhinderung sozialer Konflikte.

Denken Politik und Konzerne nicht nachhaltig genug?

Der RAG-Konzern handelt verantwortlicher als manche Leute denken. Vielleicht liegt es daran, dass der Vorstandschef und ehemalige Wirtschaftsminister Werner Müller nicht die Eiseskälte anderer Entscheidungsträger hat. Der Bergbau ist bis heute ohne betriebsbedingte Kündigungen ausgekommen. Natürlich kann man darüber streiten, ob die staatlichen Kohlesubventionen sich rechnen. Oder ob das System der Frühverrentung sinnvoll ist. Aber die Wichtigkeit des Bergbaus für das Ruhrgebiet ist nach wie vor unübersehbar. Wer will denn die 30.000 Arbeitsplätze und mindestens genauso viele in der Zulieferindustrie auffangen? Und: Wir haben hier ein enormes Know-how entwickelt, was in den kommenden Jahren weltweit nachgefragt wird – sowohl in der Bergbautechnik als auch im Gesundheitswesen.