Untersuchungsrichter auf der Anklagebank

SPANIEN Der Richter Baltasar Garzón soll wegen Rechtsbeugung vor Gericht gestellt werden. Die Anzeige stammt von profaschistischen Gruppen

MADRID taz | Spaniens Richter Baltasar Garzón muss auf die Anklagebank. Das hat der Oberste Gerichtshof in Madrid am Mittwoch beschlossen. Es gebe genügend Indizien, um Garzón der Rechtsbeugung anzuklagen. Er habe die Suche und Öffnung von Massengräbern der Opfer der Truppen von Diktator General Francisco Franco angeordnet, obwohl „er sich im Klaren war, dass er dafür nicht zuständig ist“, so das Gericht. Ein Richter sei für die „korrekte Anwendung des Rechts“ verantwortlich. Garzón aber habe „demokratisch verabschiedete Gesetze wie das Amnestiegesetz“ übergangen.

Richter Garzón bestreitet, dass das Amnestiegesetz von 1978 auch auf das Verschwindenlassen von politischen Gegnern anwendbar ist. „Ein Amnestiegesetz, das Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu ignorieren versucht, ist nichtig“, sagt der Ermittler am höchsten spanischen Strafgericht. Deshalb nahm Garzón, der durch die Festnahme des ehemaligen chilenischen Diktators Augusto Pinochet international bekannt wurde, Ende 2006 mehrere Anzeigen von Angehörigen von Verschwundenen aus dem Spanischen Bürgerkrieg (1936–1939) und den Nachkriegsjahren an. Der Richter kam zum Schluss, dass mindestens 112.000 Opfer zu beklagen seien. Da er nicht aus allen Regionen brauchbare Informationen erhielt, dürfte die tatsächliche Zahl weitaus höher liegen. Garzón ermittelte daraufhin gegen Diktator Franco und seine Generäle wegen des Staatsstreiches von 1936. Zum anderen ordnete er die Suche nach Opfern „von gewaltsamem Verschwinden“ an, bis die Staatsanwaltschaft ihn schließlich stoppte.

Garzón hat jetzt zwei Wochen Zeit, Widerspruch gegen die Anklage einzulegen. Sollte sein Widerspruch erwartungsgemäß abgelehnt werden, könnte Garzón vom Dienst suspendiert werden. Im Falle eines Schuldspruchs drohen ihm sogar 20 Jahre Berufsverbot.

Die Anzeige gegen Garzón stammt von drei rechtsradikalen Vereinigungen, darunter die faschistische Falange, deren Mitglieder in Säuberungsaktionen zehntausende Anhänger der gestürzten Republik erschossen und verscharrten. „Wir müssen mit ansehen, wie die Täter einen Richter, der ihre Verbrechen untersuchen wollte, auf die Anklagebank bringen“, erklärt Emilio Silva, Vorsitzender einer Gedenkorganisation. REINER WANDLER