Bremsen kann nicht jeder

FIXIES Darf’s ein bisschen weniger sein? Es gibt Fahrräder, an denen ist kaum was dran. Manchmal noch nicht mal die übliche Technik, mit der sie zum Halten gebracht werden. Die Polizei sieht Gefahr im Verzug

VON HELMUT DACHALE

Will Marcie scharf abstoppen, liftet er in voller Fahrt ein wenig das Hinterrad und tritt dann in die Gegenrichtung der rotierenden Pedale. Dazu braucht man Kraft und eine Überdosis Geschicklichkeit.

Marcie, 31, ist kein Radartist, sondern Student und Fahrradkurier in Bremen. Aber er fährt Fixie, einen Exoten, auf den auch schon die Polizei ein Auge geworfen hat. Es handele sich um einen Typ, „der sich sowohl bei den Kurierfahrern als auch bei Trendbewussten und erfahrenen Rennfahrern zu etablieren scheint“, weiß Nicole Erhardt, Polizeioberkommissarin der Bremer Verkehrspolizei. Das allein jedoch wäre kein Grund, die Fixies und ihre Fans unter Beobachtung zu stellen. Als Problem gilt die technische Ausstattung des Fahrrades: Sie entspricht nicht der StVZO, der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung.

Bremsen mit Tretkurbel

An einem echten Fixie ist wenig dran. Es fehlen die sonst üblichen Bremsen, zumeist auch Beleuchtung und Klingel. Es gibt keine Gangschaltung und auch keinen Freilauf, stattdessen eine Starrnabe (englisch: fixed gear, daher der Name Fixie). Die Tretkurbeln drehen sich also ständig mit und können dadurch als Bremse eingesetzt werden – aber eben nur, wenn man’s wirklich kann.

Die Polizei vermisst in erster Linie Vorder- wie Hinterradbremse. In Bremen wurde angekündigt, die Kontrollen zu verstärken. Bei Fahrrädern, die nicht den Vorschriften der StVZO entsprechen – ob Fixie oder nicht –, müsse mit „entsprechenden Maßnahmen“ gerechnet werden. Und das könne schlimmstenfalls die Sicherstellung des Fahrzeuges bedeuten – „wenn es zur Gefahrenabwehr notwendig erscheint“.

In Berlin, der Stadt mit der größten Fixie-Dichte bundesweit, wurden im letzten Jahr sogar Fahrradpolizisten in Zivil eingesetzt, berichtet Jan, der in Wirklichkeit anders heißt. Der 39-Jährige hat seine Gründe fürs Pseudonym. Bereits einmal ist er gestellt worden, seitdem hat er drei Punkte in Flensburg. „Außerdem musste ich hundert Euro zahlen, kann auch mehr gewesen sein, und das Fahrrad durfte ich auch noch vorführen.“ Und zwar mit allem. Mittlerweile fährt er seine drei Fixies wieder bremsenfrei. Wie Marcie, der Fahrradkurier, meint allerdings auch Privatfahrer Jan: Ein Fixie ist ein Fahrrad für Fortgeschrittene, man sollte es beherrschen, bevor man sich mit ihm auf die Straße wagt. „Leute, die anfangen, brauchen wenigsten eine Vorderradbremse“, betont er. Marcie warnt ebenfalls: „Ungeübt sollte man nicht aufsteigen.“ Wer jedoch das Minimal-Velo im Griff habe, ergänzt der Bremer, erlebe ein verdammt schnelles Rad, an dem „nichts klappert und nichts verschleißt“. Und die Reduktion aufs Wesentliche habe ja wohl auch etwas mit Ästhetik zu tun.

Erhöhte Wachsamkeit

Jan, bereits seit vier Jahren Fixie-Fahrer, sieht noch weitere Vorteile: Auf so einem Ding sei man zur erhöhter Wachsamkeit verdammt, „man fährt viel vorausschauender“. Anfang des Jahres ist er auf einem seiner drei Exemplare 1.800 Kilometer durch Australien gestreift. Die nächste größere Fixie-Tour hat er für Mai eingeplant: „Von Amsterdam nach Rom, Geld sammeln für Haiti.“

Marcie, der an jedem Wochentag als Messenger tätig ist, fallen zwei Stürze im Winter ein. Auf Eis und Schnee, harmlos. Immerhin: An sein Arbeitsgerät – modifiziertes Rennrad mit Starrgang – hat er Vorder- und Hinterradbremse angeschraubt, mit herkömmlichen Griffen. Und aus den Hosentaschen kramt er Batterieleuchten zum Anstecken. Ohne diese Zusatzkomponenten ließe ihn sein Arbeitgeber keinen einzigen Brief befördern. Wie aber bremst er tatsächlich?

Ist er mit seinem Zweit-Fixie unterwegs, dann jedenfalls mit kräftigem und genau getimtem Tritt in die Gegenrichtung der Pedale. Denn sein Zweites ist nun mal ein unverfälschtes Fixie. Ein wirklich puristisches Bahnrad, in Frankreich hergestellt und online für 260 Euro ersteigert. „Ein Glücksschuss“, sagt er lachend. Wäre doch schade, gibt er zu bedenken, wenn er diesem Boliden eine Bremse verpassen müsste. Nur weil die Polizei es so will.