Lichtblick in der Langeweile

VERFREMDETE WAHLPLAKATE

Lustig daran war aber auch nur das aufgeregte Gackern der Opposition

Da hängt er wieder, der Hans-Christian: schlohweiße Haarpracht, Streifenhemd, roter Schal, man erkennt ihn schon von Weitem. Aber … Moment mal, das ist ja … gar nicht Ströbele. Auch wenn das in grünen Lettern, ergänzt um das Wort „Erststimme“ auf dem Plakat steht. Nein, es ist der an Heiligabend 2011 in biblischem Alter entschlafene Johannes Heesters, den Witzbolde an etlichen Stellen in Kreuzberg über den echten Ströbele geklebt haben. Gemein!

Natürlich nicht gemein für den verblichenen Operettenkaiser und KZ-Touristen. Den wird das nicht mehr stören. Aber für den grünen Methusalem, der meint, sein ewig erstes und weiterhin einziges grünes Direktmandat der Republik noch ein jetzt aber wirklich letztes Mal verteidigen zu müssen. Irgendwann ist der Lack dann doch ab, und wer weiß, ob es seiner vorerst chancenlosen SPD-Konkurrentin Cansel Kiziltepe nicht doch gelingt, eine Bresche in die grüne Bastion zu schlagen.

Jedenfalls ist die Kreuzberger Verfremdungsaktion ein echter humoristischer Lichtblick im fürchterlich öden Plakatewahlkampf, in dem selbst die Piratenpartei nur durch harmlose Berufsjugendlichensprüche auffällt. Das einzige Motiv, das ein paar mediale Wellen geschlagen hat, ist die CDU-Werbung an einer Fassade gegenüber dem Hauptbahnhof, bei der Angela Merkels zur haushohen Raute geformten Hände aus 2.150 Einzelfotos von CDU-WählerInnen gebildet werden – etwa so, wie sich Staatsquallen oder Weichkorallen aus unzähligen Einzelpolypen zusammensetzen.

Lustig daran waren dann aber auch nur das aufgeregte Gackern der Opposition im Abgeordnetenhaus („Personenkult!“) sowie die kreative Erweiterung des Motivs durch Blogger, die mal wieder den „Simpsons“-Bösewicht Mr Burns über ein Foto der Riesenhände montierten.

Apropos: Vielleicht haben die Werber ja die Straße längst aufgegeben, und der eigentliche Wahlkampf findet viral im Netz statt? Nein, irgendwie auch nicht. Wenn überhaupt, fallen einem da diese Soap-artigen Spots der Kreuzberger SPD-Kandidatin und ihrer halbwüchsigen Tochter ein, aber jetzt ist schon wieder von Cansel Kiziltepe die Rede, und Werbung für sich sollen die Leute gefälligst selber machen.

CLAUDIUS PRÖSSER