Mit Liebe zur Schwarmintelligenz

BIENENZUCHT Mancherorts müssen Imker ihren Immen sogar mitten im Sommer ein Zubrot gönnen – denn die Monokulturen in der Landwirtschaft führen zu Mangelernährung

Dank Brachen und Parks geht es Bienen im städtischen Umfeld deutlich besser

VON ANSGAR WARNER

„Die Liebe eines Volkes hat mich zur Königin gemacht“, textete die Girlie-Band „Heiterkeit“ unlängst. Bienenköniginnen können schon seit Millionen Jahren ein Lied von dieser Praxis singen. Leider aber immer seltener: denn inzwischen jubelt die industrialisierte Imkerei dem Bienenstock ganz unromantisch künstlich gezüchtete Fremdherrscherinnen unter. Das mag rein technisch klappen – Pheromonen sei Dank. Doch die Bienen sind nicht blöd, sie merken es, und das bedeutet eine Menge Stress. „Ein Bienenvolk ist kein Automat, sondern ein komplexer Organismus“, so Sabine Armbruster von Mellifera, einer Initiative, die sich schon seit 1985 für wesensgemäße Bienenhaltung einsetzt. Wesensgemäß bedeutet vor allem erst mal, den Bienenstaat nicht als Maschine mit beliebig austauschbaren Teilen zu betrachten: „Inzwischen wissen wir, dass Bienen sogar menschliche Gesichter unterscheiden können. Sie erinnern sich auch nach einem Jahr noch daran, mit wem sie es zu tun haben.“

Apis mellifera, also die europäische Honigbiene, gilt nach Rind und Schwein als das wichtigste Nutztier – und wird im Alltag tatsächlich oft „vernutzt“: alle zwei Jahre tötet man die Königinnen, um Platz für neue, fitte Nachfolgerinnen zu schaffen, die genügend Eier produzieren. Der natürliche Schwarmtrieb wird unterdrückt, man gibt feste Wabengrößen vor, und im Winter bekommen die Immen statt Honig nur Zucker. Das hat auch in Deutschland Tradition, es geht für die Berufs- und Erwerbsimker eben auch ums Geldverdienen. Schon in den 1920er Jahren wusste etwa Rudolf Steiner, „dass man die Honigerzeugung, sogar die Arbeitsfähigkeit der Arbeitsbienen ungeheuer vermehren kann durch die künstliche Bienenzucht“. Doch zugleich warnte er: wenn man ausschließlich auf künstliche Bienenzucht setze, könne das „in hundert Jahren“ das Aus für die Imkerei bedeuten.

In den 1980er Jahren kam es erstmals im größeren Maßstab zum Bienensterben – unter anderem, weil die aus Asien eingeschleppte Varroa-Milbe den westdeutschen Völkern zusetzte. Engagierte Imker gründeten deswegen Mellifera – Ziel war es, so Armbruster, „einen anderen Weg zu gehen als die industrialisierte Bienenhaltung“. Wie man Honig produziert, ohne die Bienen zu stressen, probiert man in einer eigenen Lehr- und Versuchsimkerei aus, die am Standort Rosenfeld südlich von Stuttgart knapp 150 Völker vorhält: „Wir setzen auf Naturwabenbau, verzichten auf künstliche Königinnenzucht und arbeiten mit dem natürlichen Schwarmtrieb“, so Armbruster. Soweit es geht, überlässt man die Arbeit dem auch „Bien“ genannten Superorganismus selbst – diese Grundlage hat auch Eingang in die Demeter-Richtlinien gefunden.

Für Imkerin Wiebke Deeken ist es stets ein Erlebnis, wenn die alte Königin mit einem Teil des Bienenvolks ausschwärmt: „Legt man sich ins Gras und beobachtet die Schwarmwolke von unten, entstehen durch die Flugbahnen wunderschöne Sternformen am Himmel.“

Die studierte Ökolandwirtin betreibt auf dem Hof Apfeltraum im brandenburgischen Müncheberg eine „Liebhaberimkerei“ mit 10 bis 15 Völkern. Wilde Verfolgungsjagden gibt’s bei ihren Schwärmen nicht: „Meistens sammeln sich die Bienen ganz in der Nähe auf unserem Hof, oft sogar an derselben Stelle wie im Vorjahr, etwa einem bestimmten Ast.“ Hat der Schwarm seine neue Bleibe bezogen, wird er in der Regel an befreundete Imker abgegeben – Deeken selbst versucht lediglich, die Zahl ihrer Völker ungefähr stabil zu halten. Sie schätzt zwar die Biene als „Haus- und Hoftier“, als Cash-Cow kommen die Tiere für sie aber nicht in Frage: „Im Winter verfüttere ich sogar einen guten Teil des Honigs wieder an meine Völker, deutlich mehr als die vom Demeter-Verband vorgeschriebenen zehn Prozent.“

Mancherorts müssen Imker ihren Immen sogar mitten im Sommer ein Zubrot gönnen – denn die Monokulturen in der Landwirtschaft führen zu Mangelernährung. Spätestens nachdem Ende Mai der Raps verblüht ist, finden die Immen oft kaum noch Nektar. „Mittlerweile geht es Bienen im städtischen Umfeld deutlich besser, weil sie in Gärten, Parks oder Brachflächen den ganzen Sommer genügend Blüten finden“, so Armbruster. Das kann auch Wiebke Deeken bestätigen: „In den letzten zehn Jahren hat die Zahl der Blühpflanzen um Müncheberg stark abgenommen, auf dem Acker wächst vor allem Mais für Biogasanlagen, selbst die Kornblumen am Feldrand werden umgepflügt.“ Mellifera hat deswegen das Netzwerk „Blühende Landschaft“ ins Leben gerufen, an dem sich auch verschiedene Umweltverbände beteiligen. So sollen etwa Landwirte angeregt werden, auf ihren Äckern wieder mehr Blüten in Umlauf zu bringen. Auch Kommunen oder Gartenbesitzer im urbanen Umfeld können ihre Grünflächen durch gezielte Bepflanzung „bienenfreundlicher“ machen. Den aktuellen Trend zum „Stadtimkern“ sollte man aber nicht überschätzen, meint Wiebke Deeken: „Dass die Städte als so tolle Orte für Bienen erscheinen, liegt eben daran, dass die Situation auf dem Land sich so massiv verschlechtert hat.“