7 + Krise = 4

DIGITALER WANDEL Viele US-Haushalte haben keine tägliche Printzeitung mehr, weil am Vertrieb gespart wird – etwa beim „Oregonian“

Wie es inzwischen läuft? „Ganz gut“, sagt der „Picayune“-Chefredakteur. „Geht so“, sagt die Redaktion

AUS PORTLAND STEFFI DOBMEIER

Kaffee ohne Milch, dafür mit Zucker, dazu ein Rosinenbagel. Und die Zeitung, die er zu Hause in seine Tasche gesteckt hat. So verbringt Dan die erste halbe Stunde seines Arbeitstages. Dan hat sein Büro im Zentrum von Portland im US-Bundesstaat Oregon, hier entwickelt er Software für Kompostieranlagen. Normalerweise ist sein Computer aus, bis er mit dem Wirtschaftsteil des Oregonian fertig ist.

Ab Oktober wird das anders. Dann wird Dan Schafer an einigen Tagen in der Woche nicht die Zeitung aufschlagen, sobald er ins Büro kommt – sondern die Wirtschaftsnachrichten im Netz lesen. Der Oregonian stellt die tägliche Zustellung an die Haushalte ein. Die Zeitung liegt dann nur noch mittwochs, freitags, samstags und sonntags vor Dans Tür. Aus sieben mach vier.

Der Oregonian verlagert die Berichterstattung weiter ins Internet. Zusätzlich zur Website, die auch jetzt schon tagsüber die wichtigsten Nachrichten und Geschichten liefert, wird es ab Herbst eine tägliche Webversion der Zeitung geben, zu der jeder Abonnent Zugriff hat. „My Digital O“ wird sie heißen, O wie Oregonian.

N. Christian Anderson III.

Die offizielle Begründung dafür lautet: weil im Internet die Zukunft der gedruckten Zeitung liegt. „Mit dieser Strategie können wir die Nutzer in Oregon und dem Südwesten von Washington noch schneller mit den wichtigsten Nachrichten beliefern – auch auf den mobilen Geräten“, sagt der Herausgeber N. Christian Anderson III., der tatsächlich so heißt. Die zweite Wahrheit, die deutlich unpopulärer daherkommt: Print kostet Geld. Und wie auch in Deutschland gehen in den USA die Anzeigenverkäufe und Zeitungsauflagen stark zurück. Der Verlust muss aufgefangen werden – und die Zustellung der Zeitungen an die Haushalte ist finanziell gesehen der größte Posten in der Produktion. Wenn man sparen muss, dann hier, heißt es aus dem Verlagshaus.

Die Idee ist nicht neu. Die Times Picayune aus New Orleans, die wie der Oregonian zur Verlagsgruppe Advanced Publications mit Sitz in Staten Island, New York, gehört, hat ein ähnliches kostensparendes Vertriebsmodell bereits im letzten Oktober eingeführt. Die Zeitungslieferung konzentrieren sich beim Oregonian wie bei der Picayune fortan auf die Tage, die am profitabelsten sind, an denen die meisten Menschen Zeitung lesen und die meisten Anzeigen verkauft werden. Das sind beim Oregonian mittwochs, freitags und das Wochenende. Die Picayune liefert am Wochenende nur samstags aus. An den anderen Tagen wird es beide Blätter nur im Einzelverkauf am Kiosk geben. Und eben im Internet.

Die Diskussion darüber, wie Zeitungen mit dem enormen Auflagenschwund einerseits und der Digitalisierung in der Medienwelt andererseits umgehen können, wird in den USA nicht weniger heftig geführt als in Deutschland. Nur, dass die Debatte jenseits des Atlantiks schon einige Jahre früher angefangen hat.

Die Umstellung auf digitale Inhalte im Netz hat etwa beim Oregonian, der ältesten ständig erscheinenden Zeitung an der Westküste der USA, dekoriert mit fünf Pulitzer-Preisen, schon vor Jahren begonnen. Die meisten Kollegen twittern, viele bloggen, wer von einem Termin in die Redaktion zurückkommt, schreibt zuerst eine Geschichte für die Website, die schnell online gehen kann, bevor der Zeitungstext an der Reihe ist. Da sind die Kollegen in den USA weiter als viele Journalisten in Deutschland.

Dieser mediale Kulturwandel wird nun mit der Einstellung der täglichen Lieferung an die Haushalte auch für die Leser spürbar. Die Zeitung weicht einem Nachrichtenangebot im Internet, zu lesen auf dem Computer, dem Tablet oder dem Handy. Dan mag das Ritual der Zeitungslektüre auf Papier. Aber er ist Mitte 30 und einer derjenigen, die in der digitalen Welt zu Hause sind. Die Umstellung ist für ihn nicht schwer. Größer wird das Problem für ältere Leser. Selbst wenn sie Zugang zum Internet haben, und das haben nicht alle Oregonian- Leser, wollen viele eine Zeitung in den Händen halten. Auch deshalb, weil sie es nicht anders kennen. Oder es sich nicht anders vorstellen können.

Brenda Summers

„Soll ich den Computer auf den Küchentisch stellen, damit ich beim Frühstück die Nachrichten lesen kann?“ Brenda Summers ist 68 und fragt sich, wie das gehen soll. Sie war Lehrerin an der High School, ist nun in Rente und hat außerdem Sorge, dass die Qualität der Texte leidet, wenn sie für das Internet geschrieben werden: „Weil es da doch immer so schnell gehen muss.“ Eine Befürchtung, die viele teilen – nicht nur Leser, auch Journalisten.

„Egal, was der Verlag sagt, der 1. Oktober wird das Ende des Oregonian sein, wie wir ihn kennen“, sagt eine Mitarbeiterin, die ihren Namen lieber nicht in einer Zeitung lesen will. Sie hat ein Abfindungsangebot akzeptiert und eine Verschwiegenheitsklausel unterschrieben. Knapp 100 Mitarbeiter aus allen Abteilungen des Oregonian verlieren durch die Umstrukturierungen ihre Jobs. Es sind vor allem die älteren Kollegen, denen der Verlag nicht zutraut, sich umzustellen. Für den Newsroom, das journalistische Zentrum der Zeitung, bedeutet das eine Stellenreduzierung um etwa ein Viertel. Das Personal: noch so ein Kostenfaktor.

Die Times Picayune in New Orleans, Lousiana, hat das alles schon hinter sich. Der Testballon, das Vorbild für Portland. Wie es inzwischen läuft? „Ganz gut“, sagt Chefredakteur Jim Amoss. „Geht so“, hört man dagegen aus der Redaktion. „Es ist noch zu früh, um ein abschließendes Fazit zu ziehen“, verteidigt Amoss das Printexperiment. „Das wird ein langer Prozess, und wir stehen erst am Anfang.“

Eine herbe Schlappe musste die Picayune in diesem „Prozess“ bereits einstecken: Im Herbst 2012 hatte man nämlich zunächst angekündigt, eine gedruckte Zeitung nur noch an drei Tagen in der Woche überhaupt produzieren zu wollen: mittwochs, freitags und samstags. Das Modell scheiterte wirtschaftlich, es hagelte Proteste von Lesern, dann folgte im Juni diesen Jahres die Rolle rückwärts: Inzwischen gibt es in New Orleans wieder täglich eine Zeitung auf Papier, wenn auch an den schwächeren Verkaufstagen nur im Tabloidformat. Und sie wird eben auch nicht nach Hause geliefert, sondern an rund 1.500 Orten im Stadtgebiet verkauft: in Cafés, Supermärkten, Bäckereien. Ein Versuch des Verlags, gegen die anhaltenden Proteste der Leserschaft anzugehen, ohne wieder Geld in den Vertrieb stecken zu müssen.

Immerhin: Die Abbestellungen halten sich nun in Grenzen. Die Zeitung verliert nicht mehr Leser als andere Titel im Land. Dennoch sind vor allem die älteren Leser noch immer darüber verärgert, dass sie nicht mehr jeden Tag eine Zeitung auf der Türschwelle finden. Das Argument, sie könnten die Nachrichten online lesen, zählt für sie nicht. Auch wenn die Abdeckung im Großraum New Orleans nicht schlecht ist und selbst viele ältere Bewohner Zugang zum Internet haben, so fehlt ihnen das Papier in der Hand. Da geht es ihnen nicht anders als Brenda Summers im rund 4.000 Kilometer entfernten Portland.

Geplant war die Rückkehr zur täglichen Printausgabe jedenfalls nicht. In Portland will man dieses Hin und Her von vornherein verhindern: Gedruckt wird weiterhin täglich – nur geliefert eben nicht mehr. Einige werden dann zum Frühstück achselzuckend ihren Computer hochfahren. Andere werden morgens vielleicht gar keine Zeitung mehr lesen.