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DIE EINE FRAGEUnreine Seele

Peter Grottian gilt als die Verkörperung des Linken. Warum denkt er gerne an Schwarz-Grün?

Peter Grottian ist ein „Altlinker“ und „Bürgerschreck“, wie er im Buche steht. Zumindest für den Spiegel. Von Menschenketten bis Aufrufen zum Schwarzfahren, vom Bildungs- bis zum Bankenprotest: seit den späten 60ern trägt der emeritierte Politikprofessor der FU Berlin dazu bei, mit außerparlamentarischer Opposition Einfluss auf die Demokratie zu nehmen. Grottian ist auch der vehementeste Kritiker von Baden-Württembergs grünem Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann. Der rede nur und tue nix. Und dieser Mann spricht sich dafür aus, Schwarz-Grün zu wählen? Oder wie sind seine Beiträge in taz (18. Juli) und kontext (31. Juli) gemeint?

An einem schönen Herbsttag sitzt Grottian im Schatten eines Straßencafés im Berliner Bezirk Kreuzberg. Vor ihm Kaffee und eine Zeitung. Er kommt gerade vom Bodensee, wo er einen zweiten Wohnsitz hat. Sieht gut aus. Hat graue, dichte Haare und einen sehr wachen Blick. „Eine Frage, Herr Grottian: Ist Schwarz-Grün für Sie als Altlinker nicht das Böse?“ „Na ja“, brummt er. Unklar, ob sich das auf den Altlinken bezieht oder auf das Böse. „Ich bin ja außerparlamentarisch“, sagt er dann. „Es könnte mir egal sein. Ist es mir aber nicht.“

Wir überspringen nun die Probleme, die Grottian mit der CDU hat, und die Probleme, die die SPD mit sich und den Wählern hat. Erwähnen knapp die parallelen Entwürfe des Magazins Cicero (Gabriel plant große SPD-Zukunft mit Rot-Grün-Rot) der Zeit (Trittin plant völlige Marginalisierung der SPD durch Rot-Grün-Rot) und des Sterns (Jörges plant Gabriel als Vizekanzler von Merkel). Und setzen gegen das Argument, dass die Grünen-Spitze Schwarz-Grün ausschließt, den Hinweis, dass die Wähler Rot-Grün ausschließen. Falls Letzteres voreilig war, umso besser. Falls nicht, war es womöglich die Grünen-Spitze. Die Frage ist doch: Was könnte Schwarz-Grün bringen?

Erstens, sagt Grottian, sei auch das besser als Schwarz-Gelb. Das habe er in der taz gelesen. Zweitens, sagt er, könnten die Koalitionsverhandlungen nach den Monaten der Verweigerung die Merkel-Union zu einer inhaltlichen Auseinandersetzung zwingen. Er hat die Wahlprogramme gelesen, hält das der Union für intellektuell indiskutabel, das der Grünen für durchaus respektabel. Die hätten sich tatsächlich einen Kopf gemacht. „Meine Hoffnung ist, dass dieses prall gefüllte Wahlprogramm der Grünen zwangsläufig zu einem politischen Streit führen muss. Es wird nichts durchgewinkt, sondern über Wochen gestritten.“ Unwahrscheinlich, aber ein spannender Gedanke.

Und was ist mit dem Teil der grünen Partei und der Wählerschaft, der lieber FDP oder SPD mitregieren lässt, als in der politischen Verantwortung die reine Seele zu gefährden? Tja, sagt Grottian: „Die Grünen müssten in den Verhandlungen erhebliche Erfolge erzielen.“ Welche wären das? „Der Spitzensteuersatz wird angehoben, die Energiewende wird grün, und Stuttgart 21 wird eingestellt.“ Das klingt wirklich fantastisch.

Für einen Grünen-Wähler. Aber auch angesichts der real existierenden Union. Eben nicht, sagt Grottian. Er kann einen so funkelnd anschauen, dass klar wird: Der hat definitiv Freude daran, Neues zu denken.

Also, man kann es ja auch mal so sehen: Das Unions-Progamm ist so vage, dass man keine Versprechen brechen muss. Merkel ist froh, wenn sie die Verantwortung für die Energiewende los ist. Bei der Steuer einigt man sich auf eine Light-Variante. Okay, das Ende von Stuttgart 21 wäre ein innerer Grünenparteitag, aber gegen die Rücknahme der Laufzeitverlängerung letztlich nur ein Klacks. Außerdem will den Tiefbahnhof eh kaum einer mehr. Da könnte Merkel erneut lapidar gesellschaftliche Entwicklung nachvollziehen.

„Es geht um die Modernisierung der Gesellschaft“, sagt Grottian. „Mit den Grünen ist die Zivilgesellschaft zumindest nicht komplett außen vor. Und wenn es nur wegen eines schlechten Gewissens ist.“ Wenn Peter Grottian mit seinen Augenbrauen wackelt, weiß man nicht immer hundertprozentig, wie ernst er es grade meint. Vielleicht weiß er es selbst manchmal nicht. Was er aber mit 71 definitiv weiß: Vier Jahre sind eine lange Zeit.

Peter Unfried arbeitet als Chefreporter der taz

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