Grüner Herbst

WACHSTUMSKURVE Die Grünen machen sich immer unbeliebter. Sie haben sich zu sehr auf sozialdemokratisches und linkes Terrain gewagt. Was hilft? Mehr Luxus!

VON JAN FEDDERSEN

Wundern durfte sich das interessierte Publikum schon am Montag. Am Abend nach dem „Duell“ um die Kanzlerinnenschaft debattierten im Fernsehen die Vertreter von FDP, Linkspartei und Grünen. Vertreter? Ja, denn nicht einmal seitens der Ökopartei war es eine Frau, die mit Rainer Brüderle und Gregor Gysi stritt, sondern ein Mann. Jürgen Trittin, der ehrenwerte Held des Dosenpfands – er schon wieder. Denn das hieß, dass seine Kollegin in der grünen Wahlkampfspitze, Katrin Göring-Eckardt, nicht performte.

Wahrscheinlich ist dieses Bild eines der wichtigsten Dokumente für die Grünen, um nach dem 22. September zu überlegen, weshalb man so schlecht abgeschnitten hat: Trittin und Gysi lachend in den Kulissen der Fernseharena im Berliner Radialsystem – kumpelig und grölend lachend. Der grüne Spitzenmann in schulterklopfender Allianz mit der Linkspartei, nicht in gleicher Distanz zum König der Weinfeste im Range des FDP-Fraktionsvorsitzenden.

Anders gesagt: Im früheren grünen Umweltminister verkörpert sich viel stärker die linke Tradition als das, was seine Partei wirklich, etwa in Baden-Württemberg, so erfolgreiche macht. Katrin Göring-Eckardt allein hätte die Grünen im Männertalk von Gysi und Brüderle als die andere Kraft kenntlich gemacht. Das hätte ihrer Partei Sympathien eingetragen: Ja, diese Partei will sich wirklich die enervierenden Debattensitten alter Zeiten nicht zumuten.

Aber es ist ja nicht allein der tapfere Kämpfer Trittin, der im weitesten Sinne für das wahrscheinlich kümmerliche Wahlresultat einzustehen hat. Die Zuspitzung auf leichte Steuererhöhungen und auf Sozialpolitik macht den Grünen jetzt die WählerInnen abspenstig. Wussten sie nicht, dass in einem moralischen Sinne jeder gern geben möchte, wenn es aber an Steuersätze geht, ein jeder ans eigene Portemonnaie fasst?

Die Grünen haben sich verrannt. Statt auf die wichtigste Erzählung ihrer selbst und die ihrer Wählerinnen und Wähler, die von der Ökologisierung aller Lebensbereiche, zu setzen, haben sie sich aufs Sozialdemokratische verlegt. Das aber besorgen besser schon die SPD und die Linken und fürsorgestaatlich natürlich auch die Union. Die Grünen, die mit der demoskopischen Prognose von nur zehn Prozent in die restlichen 15 Tage Wahlkampf gehen, haben ihre Urerzählung vom Ökologischen faktisch verraten. In dem Größenwahn, eigentlich alle Politikfelder besetzen zu können, haben sie sich auf linkes, wohlfahrtsstaatliches Terrain begeben: Und das ist nicht das ihre, das ist das der Anderen, der traditionellen, im 19. Jahrhundert wurzelnden Parteien.

Grüne gewinnen nur, wenn sie den zukunftsfähigen Luxus – Gerhard Schröder sprach von „Gedöns“ – dieser Gesellschaft thematisieren. Als Utopie, nicht allein als nächste Realität. Energiewende, Konsumkritik, bürgerliche Teilhabe, Gender-Mainstreaming. Aber Steuererhöhungen – eine Programmidee übrigens, die die grüne Aura von Verzicht und Belehrung allzu sehr verstärkt – können nur die echten Volksparteien durchsetzen. Kleinere Parteien repräsentieren die höheren Mittelschichten, die empfindlich auf Ansprüche reagieren. Die Grünen und ihre Steuergesamtwohlphantasien: größenwahnsinnig.

Rudolf Bahro und Petra Kelly hatten vermutlich immer Recht: Die Grünen sind nicht links, nicht rechts – sondern vorne. Das sollten sie sein: Anders sind sie für die Sozialdemokratie, die momentan in der Wählergunst aufholt, nicht zu gebrauchen.

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