Charles Taylor nach Fluchtversuch gefasst

Liberias Expräsident, aus seinem Exilort in Nigeria abgetaucht, wird beim Versuch der Ausreise nach Kamerun festgenommen und nach Liberia ausgeliefert. UN-Kriegsverbrechertribunal für Sierra Leone verlangt seine Überstellung

von DOMINIC JOHNSON

Der meistgesuchte Kriegsverbrecher Westafrikas ist gefasst. Charles Taylor, flüchtiger Expräsident von Liberia, wurde gestern früh im Norden Nigerias an einem Grenzübergang zu Kamerun festgenommen. Nigerias Präsident Olusegun Obasanjo, derzeit in den USA, ordnete seine sofortige Auslieferung an.

Taylor war am Montag aus seinem Exil im südostnigerianischen Calabar verschwunden, wo er seit seinem Rücktritt im Rahmen eines Friedensabkommens für Liberia im August 2003 gelebt hatte. Vom UN-Kriegsverbrechertribunal für Sierra Leone mit Haftbefehl wegen seiner Unterstützung für sierra-leonische Rebellen in den Neunzigerjahren gesucht, hatte Taylor damals seinen friedlichen Machtverzicht im Tausch für den Verzicht auf Strafverfolgung ausgehandelt. Gegen Protest von Menschenrechtsorganisationen hatte Nigeria ihn in einer Dienstvilla in Calabar untergebracht, mit einer großen Entourage von teils zweifelhaftem Ruf. Erst nachdem zu Jahresanfang Liberias neu gewählte Präsidentin Ellen Johnson-Sirleaf Nigeria aufforderte, diesen Zustand zu beenden, kam Bewegung in die Sache. Doch während Nigeria begann, sich über eine Auslieferung des Expräsidenten Gedanken zu machen, plante der seine Flucht.

Am Samstag erklärte Nigerias Regierung offiziell, Taylor könne nach Liberia ausgeliefert werden. Montagabend bemerkten die Behörden, dass er nicht mehr in seiner Villa in Calabar war. Unbemerkt kann dies kaum geschehen sein, denn die Villa liegt direkt neben der des Provinzgouverneurs, und in den Tagen davor waren viele Mitarbeiter Taylors per Flugzeug abgereist.

Vorwürfe, Nigeria habe den Gesuchten absichtlich untertauchen lassen, wies die Regierung scharf zurück. Andererseits hatte sie einer Aufforderung des UN-Tribunals für Sierra Leone nicht Folge geleistet, einfach den gegen Taylor bestehenden Haftbefehl zu vollstrecken.

Als Nigerias Regierung am Dienstag das Verschwinden Taylors bestätigte und eine Suchaktion startete, begann ein Verwirrspiel. Angehörige Taylors und auch Polizeichefs in Calabar behaupteten, der Flüchtige sei noch da. Entferntere Getreue Taylors vermuteten diverse Exilländer: Simbabwe, das auch schon den wegen Völkermordes gesuchten Expräsidenten von Äthiopien beherbergt; die Demokratische Republik Kongo, wo ein einstiger Sicherheitsberater Taylors heute lebt; Äquatorialguinea, das nur eine kurze Bootsfahrt von Calabar entfernt liegt und dessen Regime ebenfalls wenig Respekt für Menschenrechte zeigt. Es gingen sogar Gerüchte um, Taylor sei nach Liberia gereist und plane einen neuen Krieg.

Charles Taylors gestrige Festnahme entsprang einem Zufall. In einem Geländewagen mit diplomatischen Nummernschildern unterwegs, passierte er die Ausreisekontrollen am nigerianischen Grenzübergang Gamboringala ohne Probleme. Aber der Zoll bestand darauf, in den Kofferraum zu sehen – wegen Vogelgrippe sind derzeit Nigerias Ausfuhrkontrollen verschärft. Als die Zöllner eine großen Summe US-Bargeld entdeckten, stoppten sie die Reise, und erst dann entdeckten die Grenzer, wen sie hier geschnappt hatten.

Umgehend wurde Taylor in ein Flugzeug gesetzt und nach Liberia geflogen. Dessen Regierung will ihn allerdings nicht: „Taylor sollte nach Sierra Leone gebracht werden, nicht nach Liberia“, sagte Präsidentin Johnson-Sirleaf erst am Wochenende. Am Flughafen der liberianischen Hauptstadt Monrovia gingen schwedische Spezialtruppen der UN-Blauhelmmission in Stellung, um Taylor gleich nach seiner Landung zu verhaften und nach Sierra Leone zu bringen.