Pfleger und Gepflegte in Not

Bei der Betreuung alter Menschen kommt es immer wieder zu Gewalt und Aggressionen – gegen Gepflegte und auch Pfleger. Wenn überforderte Angehörige nicht mehr weiterwissen, kann die Situation eskalieren. Beratungstelefone bieten Hilfe an

AUS BERLIN SARAH STEFFEN

Gabriele Tammen-Parr erzählt Geschichten, die betroffen machen. „Manchmal möchte ich zuschlagen“, sagte eine Frau der Sozialpädagogin am Beratungstelefon „Pflege in Not“. Die Frau pflegte ihre Mutter seit vielen Jahren und war damit überfordert. Nach jedem Arbeitstag kümmerte sich die Tochter um die Mutter. Verspätete sie sich aber etwas, kotete die Mutter ein – vermutlich aus Protest. In solchen Situationen sei sie von „Hassgefühlen überschwemmt“ worden, erzählte die Frau am Telefon. Wenn der Bruder die Mutter allerdings viermal im Jahr besuchte, waren deren Beschwerden wie weggeblasen. Die Frau, die sich an Tammen-Parr wandte, wusste nicht mehr weiter.

Gabriele Tammen-Parr kennt vieler solcher Schicksale. Dass Gewalt in der Pflege nicht nur in Berlin ein Thema ist, bestätigt Koordinator Siegfried Schwarz von „Handeln statt Misshandeln – die Bonner Initiative gegen Gewalt im Alter“. Die Initiative ist federführend bei den unterschiedlichen Beratungstelefonen, das Projekt aus Berlin ist Teil des Netzwerks. „Wir erhalten bundesweit Anrufe“, sagt Schwarz. Wenn lokale Hilfestellen existieren, vermitteln sie dann an diese weiter. Bei ganz problematischen Fällen fahren die Ehrenamtlichen auch zu Hausbesuchen in weiter entfernte Städte. Angebote wie in Berlin gibt es zum Beispiel in München, Hamburg, Dresden und Nürnberg.

Dorothee Unger vom Berliner Beratungstelefon berichtet von zwei verschiedenen Problemen bei der Pflege alter Menschen, die zu Gewalt und Aggressionen führen können. Da sind zum einen die direkten Auswirkungen der Pflege. Angehörige fühlten sich isoliert, pflegten die Angehörigen über einen längeren Zeitraum oder spürten die finanzielle Belastung. Bei Demenzerkrankungen sei die Pflege noch schwieriger. Die Gepflegten vergessen viel und haben starke Stimmungsschwankungen, mitunter werden sie aggressiv. Auch in Pflegeheimen können die professionellen Pfleger zum Beispiel durch Zeitdruck überfordert sein. Das zweite Problemfeld, das Aggressionen fördert, sei die persönliche Beziehungsebene. So ist die Pflege der Mutter, die früher die Tochter nicht vor sexuellen Übergriffen durch den Vater geschützt hat, problematisch. Ganz schwierig werde es, wenn beides – die Überforderung durch die Pflegesituation und die gestörte Beziehungsebene – zusammenkommen. „Wir werden manchmal am Telefon beschimpft, weil die Emotionen außer Kontrolle geraten“, berichtet Unger.

Beim „Pflege in Not“-Telefon in Berlin gingen seit 1999 etwa 8.000 Anrufe ein – etwa 100 bis 150 pro Monat. Neben Angehörigen können sich auch die Gepflegten selbst an die Beratung wenden. Auch Freunde, Nachbarn, Pflegepersonal oder Pflegeeinrichtungen rufen an. Etwa 70 Prozent der Anrufer sind die Angehörigen selbst – davon rufen die Hälfte der Personen an, eben weil sie überfordert sind, sagt Tammen-Parr. Neben dem Beratungstelefon, gefördert unter anderem durch die Diakonie Berlin-Brandenburg, die Senatsverwaltung für Gesundheit, Soziales und Verbraucherschutz, AOK Berlin und den Verband evangelischer Krankenhäuser und stationärer Pflegeeinrichtungen, führen die Mitarbeiter auch persönliche Gespräche und vermitteln bei Konflikten. Für Pflegeeinrichtungen bieten sie auch Fortbildungen an. Wenn die Heimleitung etwa feststellt, dass in ihrem Haus ein rauer Umgangston herrscht, helfen Tammen-Parr und Unger mit Kursen.

Auch überforderte Pfleger können sich an die Beratungsstelle wenden. Wegen des großen Stresses könnten sich viele Betreuer nämlich nicht so um die Menschen kümmern, wie sie gern wollten. Da heißt es dann „nur sauber und satt“, so Tammen-Parr. Darüber hinaus sei dann keine Zuwendung möglich. Das mache einigen zu schaffen. „Pflege in Not“ will dann helfen, bevor die Probleme eskalieren.

Beratungstelefone: (02 28) 69 68 68 in Bonn, (0 30) 69 59 89 89 in Berlin