Bilanz eines Streits

Diskussion in Berlin über Auslöser und Auswirkungen des Karikaturenstreits in islamischen Ländern

BERLIN taz ■ Fast sechs Wochen sorgte der Streit um die dänischen Mohammed-Karikaturen in islamischen Ländern für Proteste und Gewalt: Hunderttausende empörter Muslime demonstrierten gegen die Zeichnungen, über hundert Menschen wurden ermordet, allenthalben wurde erneut der Zusammenstoß der Zivilisationen heraufbeschworen. Doch seit Mitte März ist wieder Ruhe eingekehrt. Alles nur heiße Luft?

Die Karikaturen lieferten in vielen Ländern den Anlass für die Proteste, aber eigentlich ging es um anderes: Darin waren sich die fünf im Ausland tätigen Mitarbeiter der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) einig, die gestern in Berlin über ihre Erfahrungen mit dem Karikaturenstreit berichteten. Marlis Weissenborn, Leiterin des GTZ-Büros in Ägypten, sah in den Demonstrationen einen erfolgreichen Versuch der ägyptischen Regierung, für den Volkszorn, der sich nach dem Fährunglück aufgestaut hatte, ein Ventil zu finden. In Afghanistan kam der Karikaturenstreit laut der GTZ-Gutachterin Susanne Thiel sowohl der extremistisch-islamischen Opposition als auch der Regierung Karsai zugute: Die Opposition profilierte sich, und Karsai konnte den unter Afghanen wachsenden Unmut gegenüber der Gebergemeinschaft nutzen, um Versäumnisse der eigenen Regierung zu überspielen.

Neben innenpolitischer Frustration drückten die Proteste jedoch auch Gekränktheit und Verständnislosigkeit bis Feindseligkeit gegenüber dem Westen aus, und an diesem Punkt setzt die Debatte innerhalb der Entwicklungszusammenarbeit ein. Wo sind Übereinstimmungen, wo Unterschiede, und wie wird mit den Unterschieden umgegangen? Die Wertediskussion müsse von Seiten des Westens intensiver und bewusster geführt werden, resümierte Ingolf Vereno, GTZ-Leiter in Pakistan. Die Brücke zwischen den „unverzichtbaren Werten der globalen Welt“ und dem jeweiligen lokalen kulturellen Hintergrund könne am besten durch konkrete Ansätze geschlagen werden: In Pakistan biete zum Beispiel der Ehevertrag den Frauen die Möglichkeit, Klauseln aufzunehmen, die ihren Status in der Ehe verbessern. Das sei zu fördern.

Auch wenn die Proteste nun abgeflaut sind, ist das Verhältnis zwischen islamischen und westlichen Ländern doch angeschlagen. Ungeklärt blieb in der Debatte, was die Vertreter des Westens auf Vorwürfe antworten, widersprüchlich und doppelbödig zu sein – Beispiel Abu Ghraib – und es an Respekt gegenüber anderen Kulturen fehlen lassen. Der Karikaturenstreit, so zeigt sich, hat zwar Nachdenklichkeit ausgelöst. Zu mehr Klarheit im Umgang mit anderen Kulturen und mit den eigenen Werten hat er bislang nicht geführt.

ANTJE BAUER