Der lange Weg nach Bologna

Norddeutschlands Hochschulen stellen auf internationale Studiengänge um. StudentInnen stöhnen unter der neuen Regelungswut und befürchten eine zweite Bewerberrunde für den vertiefenden Master. Die Vorteile der neuen Abschlüsse sind bislang nur vereinzelt erkennbar

von Mathias Becker

„Krachen und knirschen“ würde es mit der Einführung der Bachelor- und Masterabschlüsse an der Hamburger Uni. Das hatte Holger Fischer, Vize-Chef der größten Hochschule im Norden, im vergangenen Herbst prophezeit. Heute befindet sich die ganze Region mitten im Bologna-Prozess und allerorten herrscht Unsicherheit darüber, was er bedeutet. Magister, Diplomer, Bachelor und Master teilen sich trotz unterschiedlicher Studienordnungen die Seminare. Auch sind viele der neuen Studiengänge noch gar nicht zugelassen.

„Mit unserem Bachelorstudiengang bewegen wir uns gewissermaßen im freien Raum“, sagt Jörg Schönert. 40 Studierende betreut der Hamburger Professor für Germanistik im neuen Bachelorstudiengang. „Dabei“, so Schönert, „ist der noch gar nicht akkreditiert.“ Das könnte in Niedersachsen nicht passieren. Hier gilt: Keine Immatrikulation ohne Akkreditierung. In Bremen wiederum lernen ebenfalls viele Studienanfänger für Prüfungen, die der Akkreditierungsrat noch nicht abgesegnet hat. „Das passiert dann zwar in der Regel nachträglich“, weiß der AStA-Vorsitzende Thomas Bohn von der Hochschule Bremen. Er fragt sich allerdings, „ob das an den Studiengängen liegt oder am Akkreditierungsrat“.

Hoher Prüfungsdruck

Ein Ziel der Zweiteilung des Studiums ist es, die Abbrecherquote zu senken. Der Hamburger Schönert sieht nach einem Semester aber noch keinen Qualitätsschub. „Zunächst“, so der Germanist, „wurde etwas in Bürokratendeutsch auf die alten Fächer drauf geschrieben.“ Die vielen Prüfungen bedeuten in seinen Augen eine Entmündigung der Studierenden.

Auch in Bremen ächzen die Studenten unter dem bürokratischen Aufwand in den neuen Studiengängen: „Da gibt es ständig Prüfungen“, berichtet Studentenvertreter und Geschichtsstudent Bohn – mit hohem Druck: Wer sich nicht drei Wochen vor dem Termin abmelde, gelte als durchgefallen.

In der Häufung der Leistungskontrollen sieht Hamburgs Uni-Vize Fischer indes auch Vorteile: „Der Prüfungsdruck“, entgegnet er, „verteilt sich dadurch auf die Semester.“ Früher hätten viele Studierende unter der großen Prüfung am Ende des Studiums gelitten.

Auch offenbare die Umstellung, wer im alten System gebummelt hat: „Jetzt, wo wir auf Bachelor umgestellt haben, tauchen plötzlich Magister auf, die ihre Nebenfächer bisher vernachlässigt haben“, sagt Fischer. Und gibt im selben Atemzug Entwarnung für die Nachzügler: „Bisher hat noch jeder Magister einen Platz in einem Bachelor-Seminar bekommen.“ Und selbstverständlich könne jeder Magister sein Studium beenden. „Das Problem dabei ist nur, dass Magister ganz andere Leistungen erbringen müssen als Bachelor“, sagt Jonas Füllner vom Fachschaftsrat der Hamburger Germanistik. Wie das Problem gelöst werde, sei weitgehend ungeklärt, warnt er.

Hinzu kommt ein weiterer Stolperstein: Fast alle Bachelor-Anfänger in Füllners Fachbereich erklärten kürzlich in einer Umfrage des Fachschaftsrates, sie strebten auch den vertiefenden Master an. Die Uni hat aber bisher nur Plätze für etwa 40 Prozent der Studienanfänger eingeplant. „Da wird es ein Auswahlverfahren geben“, erklärt Fischer aus dem Präsidium.

Dass der „Druck für Studierende steigt“, meint auch seine Kollegin in Bremen, Christina Vocke. Die Dezernentin für studentische Angelegenheiten an der Universität des Nachbarlandes hält den neuen Anspruch für richtig. Wer früher erst in höheren Semestern abgebrochen habe, müsse heute schon am Anfang des Studiums ausscheiden. „Anders geht es nicht“, sagt sie. „Wir sollen mehr Studenten in weniger Zeit besser ausbilden. Das ist die Verkugelung des Quadrats: Eigentlich unmöglich.“

Auch die Bremerin vermutet, dass es beim Wechsel vom Bachelor in den Master nach dem sechsten Semester Gedränge geben wird. Weil nicht jeder bei dieser „zweiten Bewerbung“ berücksichtigt werden könne, müssten viele Studenten andernorts ihr Studium fortsetzen, vermutet sie. Ein Wechsel aber sei angesichts drohender Studiengebühren schwierig. „Stipendien werden häufig ortsgebunden vergeben. Und Banken in einem Bundesland werden nicht jedem Master einen Kredit geben, wenn dieser erst noch seinen Bachelorkredit in einem anderen Bundesland abbezahlen muss.“ Vocke fordert darum einen Ausbau des Stipendienangebots. „Nur so“, sagt sie, „können soziale Härten abgefedert werden.

Schwerer Abschied

Von der Angst der Studenten vor der „zweiten Bewerberrunde“ kann Jürgen Hothan von der Uni Hannover ein Lied singen. In der niedersächsischen Landeshauptstadt dürfen Bauingenieure es sich noch aussuchen, ob sie sich für den Bachelor- oder den Diplomstudiengang einschreiben. „90 Prozent“, sagt Hothan, „wählen das Diplom.“ Den traditionellen Abschluss werde man so lange wie möglich erhalten. Abschied von den alten Titeln nimmt auch die Regierung in Kiel erst ganz langsam, denn es herrscht Unklarheit über die Reform der Lehrerausbildung. „Bisher dauerte das Studium zum Lehrer neun Semester plus zwei Jahre Referendariat“, erklärt Knud Andresen vom AStA der Uni Kiel. „Bachelor und Master dauern aber insgesamt zehn Semester.“ Wo das zusätzliche Semester abgeknapst werde, sei noch offen. In Folge dessen käme es an der Kieler Uni zu einem Reformstau: „Am Lehrerstudium hängen fast alle anderen Studiengänge dran.“

Auch die Lüneburger haben den Lehrer-Bereich noch nicht angerührt. Trotzdem wurden außer den Lehramtsstudiengängen an der dortigen Uni schon fast alle Studiengänge umgestellt – ein Kraftakt, mit dem sich die Hochschule offenbar zu überheben droht: Wegen des parallel laufenden Fusionsprozesses mit der Fachhochschule Lüneburg und „massiven Personalmangels“, berichtet Caspar Heybl, studentischer Vertreter im Akademischen Senat, sei die Lehrstätte mit der Umstrukturierung „überfordert“. So kämen an der Lüneburger Uni mit 120 doppelt so viele Studenten auf einen Prof wie im durchschnittlichen Rest der Republik. Trotz überfüllter Seminare und nur vorläufiger Prüfungsordnungen sei auch hier der Leistungsdruck „extrem hoch“. Schon nach zwei Semestern müsse die Hälfte der Leistungsnachweise für den Bachelor erbracht sein – „sonst“, so Heybl, „fliegst du raus.“

Lüneburg hat es eilig

Die Hochschulleitung sieht indes mehr Vorteile im neuen System: Die neuen Abschlüsse, betont Uni-Vize Gerd Michelsen, böten die Möglichkeit, stärker „Akzente zu setzen“. Im Studium der Umweltwissenschaften beispielsweise habe man sich früher über zwei Wahlpflichtfächer spezialisieren können. „Jetzt ist das jeweils im Rahmen eines eigenständigen Masters im Anschluss an den Bachelor möglich“, schwärmt er.

Die insgesamt 18 Bachelorstudiengänge in Lüneburg münden künftig in 23 „konsekutive Master“, die einer Spezialisierung dienen. Daneben bietet die Hochschule auch kostenpflichtige Master an. Für ihren Vormarsch erhielten die Lüneburger das Prädikat „Modell-Universität im Bologna-Prozess“ vom Land Niedersachsen. Uni-Sprecher Henning Zühlsdorf mahnt: „Die Umstellung darf nicht bedeuten, dass man alten Wein in neue Schläuche gießt.“