Frau Schwab geht unter
: Zu Besuch bei Rolf Hochhuth

Rolf Hochhuth wird heute 75. Herzlichen Glückwunsch. Das ist ein Anlass, dem Dramatiker nachzuspüren. Wie die Fährtenleserin einer Schimäre.

Das Feuilleton der taz war von der Idee nicht begeistert. Die Wahrheit-Redaktion schrieb „Vorsicht, Hochhuth im Haus“ ins Intranet, als er Bücher zur taz brachte. Zur Vorbereitung auf unser Gespräch. Kann man auf Hochhuth vorbereitet sein?

Der Ruf des Schriftstellers ist ramponiert. Kritiker behaupten, er renne sein ganzes Leben lang dem Jugendtraum nach, als Künstler anerkannt zu werden. Harte Worte. Klaus Peymann, den Chef des Berliner Ensembles, hat Hochhuth sich zum Gegner gemacht. Einen früheren Freund, den Holocaustleugner David Irving, hat er hingegen in einem Interview mit der neurechten Jungen Freiheit scheinbar verteidigt. Auch einen Auftritt als Darsteller in der TV-Soap „Gute Zeiten schlechte Zeiten“ nahm man ihm übel. Blamabel für einen, der einst mit dem „Stellvertreter“ Furore machte, hieß es.

Meine Kollegin, ich und ein Polsterer, der bei Hochhuth einen Stuhl abholen will, treffen gleichzeitig bei ihm ein. Ein schöner Stuhl mit Brokatbezug, wie sich herausstellen wird. Der Stoff ist abgewetzt.

„Sind Sie Herr Hochhuth?“, fragt der Handwerker, als der Dramatiker im Anzug die Tür öffnet. „Ja“, antwortet Rolf Hochhuth. „Ich will den Stuhl holen.“ „Kommen Sie rein.“ Während die beiden verhandeln, zieht es uns ans Fenster. Der Blick fällt auf das Holocaust-Mahnmal. Von hier oben ist das Meer aus Betonplatten ein kalter Friedhof. Die Kulisse führt in die Traurigkeit der Geschichte. Nicht nur der großen, auch jener des Dichters. Hochhuth will Tee kochen. Das schaffe er schon, sagt er, obwohl die Zugehfrau krank sei. Und seine Frau tot. Am Ende ist der Tee bitter. Wir trinken ihn trotzdem.

Auf dem Tisch, um den wir sitzen, türmen sich Papiere. Die Missverständnisse aber, die türmen sich plötzlich im Gespräch. Und niemand da, der aufräumt. Mit Kleinigkeiten fängt es an. Sein Jubiläum? „Beschämend wird es wahrgenommen.“ Er zählt auf: Drei Bücher habe er dieses Jahr und vier Uraufführungen. Wir sind irritiert. „Sie meinen, niemand beachtet Sie?“ Er ärgert sich, dass wir ihn missdeuten. „Beschämend“ sei doch, vier Uraufführungen zu haben. „Wer hat das in meinem Alter?“

Das war nur der Anfang. Hochhuth gibt Antworten auf Fragen, die wir nicht stellen. Dass seine Stücke bei der Kritik nicht gut ankommen, das sei falsch. Gleichzeitig gilt für das Verhältnis Hochhuth – Kritiker: „Das war Aversion auf den ersten Blick.“ Wie auch immer, wenn ihn die Kritik nicht mehr liebt, entschädigt ihn das Publikum. Und wenn das deutsche Publikum ihn nicht liebt, entschädigt ihn das französische. Oder das schweizerische.

Auch ein Provokateur sei er nicht. Er sage nur, was er denke. Etwa, dass für alle Dramatiker seiner Generation – er zählt auf: Frisch, Weiss, Dürrenmatt, Walser, Hochhuth, Kroetz – gilt: „Wir kommen gar nicht mehr vor.“ So also ist das: In Deutschland töten die Jungen ihre Väter. Herr Hochhuth, Sie meinen, die harte Kritik hat mit Ihrem Alter zu tun? „Nicht mit dem Alter, mit der Generation! Sie hören nicht zu.“

Noch mal von vorn: Wer sind Sie, Herr Hochhuth? Das steht in seinen Büchern, antwortet er. Ob ich sie gelesen habe, ob ich sein Gedicht über die drei Schwestern Kafkas gelesen habe. Natürlich, sage ich, aber es habe mich irritiert, dass es in der Jungen Freiheit abgedruckt war. „Weil es die FAZ nie drücken würde!“, schreit er und springt auf. Da mache er keinen Unterschied zwischen beiden Publikationen. Keinen? „Nein.“ So landen wir bei David Irving. Das ist Hochhuths offene Flanke. Er kannte ihn gut. Früher.

Gezielt greift er sich zwei alte Bücher. Eins von Irving, eins von ihm. Wie Trophäen hält er sie hoch und zitiert daraus. Stoppen lässt er sich nicht. „Gehen Sie, wenn Sie nicht zuhören wollen.“ Als Irving noch nicht durchgedreht war, habe er die Nazi-Verbrechen beim Namen genannt. Jetzt aber gehöre er ins Irrenhaus, nicht vors Gericht.

Die Erregungskurve des Gespräch ist nach oben geschnellt. Unsere Neugier ist eine Verletzung, die andere ihm zugefügt haben. Unsere Fragen hört er nicht mehr. Dafür die, die andere ihm stellten. „Hören Sie“, sagen wir. „Sie hören nicht zu“, sagt er. Am Ende entkommen wir der Verfassung des Verfassers nicht. „Sie wollen mich reinlegen“, ruft er. „Gehen Sie.“ Er schlägt die Tür hinter uns zu. WALTRAUD SCHWAB