Die Kunst des Kultivierens

Der Südtiroler Winzer Alois Lageder orientiert sich vom Berg bis zum Keller an biodynamischen Prinzipien. Natur, Technik, Musik und Kunst sind die Elemente, mit denen er seine Weine formt

Winzer Lageder beschallt seine Weinfässer mit einer eigens komponierten Klanginstallation

VON LARS KLAASSEN

Das alte Weindorf Margreid liegt inmitten von Obst- und Weingärten auf dem 241 Meter hohen, flachen Schwemmkegel des Fenner Baches. Nach Südosten öffnet sich der Blick über das Etschtal, während der Ort sich im Nordwesten hart an die Felswände des Fennbergs duckt. Südtiroler Idylle, deren Reiz durch ein vielschichtiges Spannungsfeld erzeugt wird: zwischen schroffer Felslandschaft und sanften Hängen, zwischen alpinem und mediterranem Klima, zwischen deutscher und italienischer Kultur.

Hier, wo scheinbare Gegensätze aufeinander stoßen, befindet sich eines der kleinsten und zugleich eines der vielfältigsten Weinbaugebiete Italiens. Es sind die natürlichen Spannungsfelder, die den Wein prägen: Die Alpen im Norden schützen einerseits vor kalten Winden und sorgen andererseits für kühle Nächte, die ein langsames, gleichmäßiges Reifen der Weintrauben ermöglichen. Die Vielfalt dieser Topografie spiegelt sich in der Vielfalt der in Südtirol kultivierten Rebsorten wider: zumeist steile Hanglagen zwischen 230 und 1.000 Metern über dem Meer; unterschiedlichste Kleinklimazonen mit stark mediterranen oder alpinen Einflüssen; Schuttkegel und Schotterterrassen sowie Moränenhänge; Böden aus Kalk- und Dolomitgestein, Quarzphyllit, lehmhaltigem Porphyr, Porphyrsandstein und sandhaltigem Mergel.

Alois Lageder weiß um diese natürlichen Wachstumsbedingungen und arbeitet mit ihnen: „Natur kann kultiviert werden, doch Natur lässt sich nicht zwingen“, sagt der Winzer aus Margreid. Jede Rebsorte hat ihre bevorzugten Wachstumsbedingungen, jede Lage ihre Eigenschaften. Sorgfältig und bewusst ist zu entscheiden, welche Traubensorte an welchem Standort ausgepflanzt wird. Lageder richtet sich dabei nach dem Terroir, der Gesamtheit aller natürlichen Faktoren, die die Einzigartigkeit eines Ortes ausmachen. Dazu zählen der Boden in seiner Zusammensetzung und Struktur, das Klein- und Kleinstklima sowie die Mikrobiologie. So wachsen Trauben, die das Typische und Charakteristische der Lage zum Ausdruck bringen.

Vom Pflanzen der Reben bis zum Zeitpunkt der Lese richtet sich die Arbeit im Weinberg nach den Rhythmen und Zyklen der Natur. Seit vielen Jahren betreibt Lageder den integrierten, umweltschonenden Weinbau: „Die Natur ist eine Inspirationsquelle für neue Ideen und Ziele.“ Das Bekämpfen von Schädlingen und Krankheiten erfolgt vorwiegend mit natürlichen Mitteln. Kompost, Stallmist und Rizinusschrot bringt er zum Düngen aus. Die reiche Alpenflora der begrünten Rebzeilen sorgt für eine ausgewogene Nährstoffversorgung. In die Weingärten gepflanzte Bäume und Sträucher fördern die Artenvielfalt. Langfristiges Ziel ist es, das biologische Gleichgewicht im Weinberg und damit die Vitalität der Reben zu stärken. Sie sind dadurch resistenter gegen Schädlinge und Krankheiten. Die Qualität der Trauben steigert Lageder durch Ertragsbegrenzung. Im Winter erfolgt der Rebschnitt auf wenige Triebe. Im Sommer werden Trauben ausgedünnt. Sorgfältig durchgeführte Laubarbeiten verbessern die Durchlüftung und die Sonneneinstrahlung.

Leitfaden der Arbeit Lageders ist eine Symbiose zwischen Natur und Kultur, ein hoher Technologiestandard, verbunden mit ökologischer Sorgfalt. Was im Weinberg seinen Anfang nimmt, wird im Keller fortgesetzt: Die Weine Lageders sind naturbelassen und nach den Regeln erzeugt, die für biologische Kellerwirtschaft gelten. Für den sensiblen Prozess des Kelterns nutzt der Winzer das natürliche Gesetz der Schwerkraft. Den Keller hat er so angeordnet, dass der Kelterungsprozess mithilfe der Gravitation erfolgt. Der 15 Meter hohe Kelterturm bildet das Herzstück. Durch den Höhenunterschied können die Trauben weitestgehend ohne Einsatz von Pumpen oder anderen mechanischen Beförderungsmitteln gekeltert werden – im freien Fall sozusagen. Kreisförmig um diese Mittelachse sind die Gärbehälter angeordnet. Durch das Vermeiden langer Förderwege gelingt es, das Lesegut, den Most und den Wein schonend von einer Phase der Weinbereitung zur nächsten zu befördern.

Nach der Vergärung erhalten die Weine in den alten Kellerräumen des Gutes Tòr Löwengang ihre Ruhe, um zu reifen. Dort findet Lageders Ansatz ganzheitlichen Wirtschaftens eine weitere Fortsetzung. Das Zusammenspiel von Natur und Technik wird durch Kunst ergänzt: Die Weine werden mit einem „Wiegenlied für Barrique-Fässer und Streicher“ beschallt, einer eigens komponierten Klanginstallation. Eine Windturbine draußen erzeugt den Ton. „Der Klang ist im Kellerraum derart abgestimmt und moduliert, dass er die Ruhe des Ortes nicht stört und sich positiv auf den Reifungsprozess auswirkt“, sagt Lageder. „Der Wind als das freieste und sozusagen immateriellste der Elemente breitet sich, als Ton übersetzt, im verborgensten, geschütztesten Bereich des Kellereibetriebes aus. Die Installation wird zum Ausdruck einer Wechselbeziehung zwischen dem zufälligen Eintreffen bestimmter Witterungsverhältnisse einerseits und dem kontrollierten Prozess der Weinherstellung andererseits.“ Das Hörerlebnis im Kellerraum findet unter besonderen Lichtverhältnissen statt. Projizierte Aufnahmen mikroskopischer Weinteilchen tauchen den Raum in eine gedämpfte Atmosphäre. Obwohl die Lichtbilder statisch sind, scheinen die Teilchen durch die auch über Eck gesetzten Projektionen an der Decke, am Fußboden, an den Wänden oder selbst auf den Fässern zu tanzen.

So wie das Wiegenlied den Weg von außen in den Weinkeller beschreitet, weist ein anderes Kunstprojekt in die entgegengesetzte Richtung: An 53 verschiedenen Orten auf dem Weingut sind schwarze Granittafeln mit eingeritzten Sternkarten platziert – nach Anweisungen Lageders: „Die Himmelsbilder spielen nicht nur auf den Einfluss an, den Gestirne und Mond auf das Wachstum der Rebe und den Kelterungsprozess haben, sondern auch ganz allgemein auf das makroskopische Beziehungsgeflecht zwischen Naturdingen, Materialien, Handlungen und Orten.“

Welchen Anteil die Gestirne im Besonderen und der biodynamische Landbau im Allgemeinen an den Weinen Lageders haben, lässt sich empirisch nicht messen. Dass seine Weine sich nicht nur sehen lassen können, sondern sich auch gut trinken, kann jeder selbst erfahren.