Befreit am Berg

RADSPORT Bei der Spanien-Rundfahrt überrascht ein Deutscher mit vorderen Platzierungen. Der Allgäuer Dominik Nerz hätte nichts dagegen, wenn er zum Klassementfahrer heranreift

„Es ist sehr anstrengend. Bei jeder Etappe muss man hoch konzentriert sein, um nicht in Rückstand zu geraten. Aber es macht auch Spaß, aufs Klassement zu fahren“

DOMINIK NERZ

Am Ende wurde es nur die Holzmedaille. Auf dem 16. Tagesabschnitt der Vuelta spielte der Allgäuer Dominik Nerz lange eine wichtige Rolle. Auf der rasend schnell absolvierten Pyrenäenetappe nach Formigal war er zunächst in der richtigen Fluchtgruppe. Deren Vorsprung war so groß, dass auf dem 16 Kilometer langen Schlussanstieg die Topfahrer nicht mehr herankommen konnten. Auf den letzten Kilometern startete Nerz aus der zerbröckelnden Gruppe heraus eine famose Aufholjagd auf den enteilten französischen Jungstar Warren Barguil. Er hatte ihn schon in Sichtweite, als Oldie Bartosz Huzarski an ihm vorbeizog und ihm den Schneid abkaufte. Auf einer der spektakulärsten Bergetappen der letzten Jahre musste sich Nerz mit dem vierten Platz zufriedengeben.

Im ersten Moment war Nerz frustriert. „Ich bin traurig, denn man bekommt nicht jeden Tag die Gelegenheit, eine Vuelta-Etappe zu gewinnen“, sagte er. Andererseits setzte er hinter seine bisher guten Leistungen bei dieser Spanien-Rundfahrt ein Ausrufezeichen. Erstmals von seinem Arbeitgeber als Mann für die Gesamtwertung vorgesehen, hielt er sich lange Zeit in den Top Ten und war bis gestern auf einem guten 16. Platz notiert.

Wächst dem deutschen Radsport jetzt unverhofft ein Rundfahrer heran? Nerz selbst hätte nichts dagegen: „Das war von Beginn meiner Karriere an mein Ziel. Ich hatte bisher bloß nicht die Gelegenheit, das auch zu zeigen“, sagte er jetzt der taz. Der einstige Milram-Jungprofi wurde bei seinem späteren Team Liquigas vor allem als loyaler Helfer für die Kapitäne Vincenzo Nibali und Ivan Basso geschätzt. Ging es darum, Meriten zu holen, pfiffen ihn die Italiener jedoch zurück. Einschneidendes Erlebnis war im letzten Jahr das Rennen „Rund um den Finanzplatz Eschborn“. Da war Nerz in der Spitzengruppe vertreten. Die Lizenz zur finalen Attacke erteilten die sportlichen Leiter des italienischen Rennstalls aber der einheimischen Hoffnung Moreno Moser. Nerz musste sich mit Platz 2 begnügen.

Ihm schien das Schicksal vieler Berufsradfahrer beschieden: Sie sind wie Nerz gut oder sogar exzellent in ihrer Jugend, bei den Profis droht ihnen aber eine Laufbahn als Domestik. Mit dem Wechsel zum Schweizer Rennstall BMC ergeben sich jetzt neue Karriereoptionen. Nerz ist in Abwesenheit der eigentlichen Rundfahrer Cadel Evans und Tejay van Garderen der Mann fürs Gesamtklassement. Als Last und Lust zugleich sieht er diese Aufgabe. „Es ist natürlich sehr anstrengend. Bei jeder Etappe muss man hoch konzentriert sein, um nicht in Rückstand zu geraten. Erholen kann man sich an keinem Tag. Aber es macht natürlich auch Spaß, aufs Klassement zu fahren“, sagt er.

Der 24-Jährige sieht sich als Lernender. Die Vuelta ist die dritte große Rundfahrt, die er absolviert. Für den Kampf um den Sieg fehle ihm noch einiges. Aber er will die Chance nutzen und sich aus dem Feld der Mitfahrer als Protagonist herausschälen. Ein Etappensieg und eine Platzierung unter den Top 20 im Gesamtklassement lauten seine Ziele für die finale Woche der Vuelta. Schafft er dies, dann wäre dies eine gute Basis für die nächsten Karriereschritte. Neben den erfolgreichen deutschen Sprintern (Marcel Kittel oder André Greipel) wäre Nerz der Mann für die Berge. Bis auf ihn ist bislang kein deutscher Bergfahrer im Profibereich in Sicht. „Wenn es einen gäbe, würde ich ihn gern verpflichten“, meinte NetApp-Manager Ralph Denk. Denk setzt in seinem in Deutschland angemeldeten Team auf einen Polen wie den Etappendritten Huzarski oder einen Tschechen wie den an achter Stelle platzierten Leopold König. TOM MUSTROPH