Die Show ist vorbei

AUS ROM MICHAEL BRAUN

Was ist mit Silvio Berlusconi los? In den letzten Tagen nahm er gleich mehrfach ein Wort in den Mund, das in seinem Vokabular eigentlich gar nicht existiert: „Niederlage“. Vergessen sind die Auftritte vor wenigen Wochen, als er mit breitem Lächeln seinen Forza-Italia-Anhängern zurief: „Wir liegen vorn, wir haben die Linke überholt!“ Jetzt dagegen sinniert er schon über ein Leben nach der möglichen Wahlschlappe. Natürlich werde er sich nicht aus der Politik zurückziehen, verkündet Berlusconi beharrlich, sondern als Oppositionsführer weitermachen.

So recht glaubt das keiner in Italien – und nicht nur weil Berlusconi fast 70 Jahre alt ist. Diesmal nämlich hätte der Ministerpräsident nicht mehr die Ausreden zur Verfügung, die er 1996, nach seiner ersten Niederlage gegen Prodi, bemühen konnte. Nicht aus dem Amt gewählt wurde damals Berlusconi; vielmehr war er 1994 nach seinem Einstieg in die Politik, nach seinem triumphalen Erfolg bei den Wahlen, nach bloß siebenmonatiger Regierungszeit am Auseinanderbrechen seiner Koalition gescheitert. Und 1996 hatte Prodi bloß deshalb die Nase vorn, weil die Rechte gespalten angetreten war. So hatte Berlusconi damals gleich zwei Argumente auf seiner Seite. „Man hat mich nicht regieren lassen“, und „Die Linke ist und bleibt Minderheit im Land“. Das stimmte: In allen Wahlgängen seit 1994 kamen die Berlusconi-Gegner nicht über 43 Prozent hinaus, lag die Rechte dagegen bei 50 Prozent.

Diesmal aber hat Berlusconi fünf Jahre Zeit gehabt, um seine „italienische Revolution“, sein „neues italienisches Wunder“ zu realisieren. Das Wunder ist ausgeblieben, Italiens Wirtschaft stagniert und weist die schlechtesten Wachstumsraten in Europa auf. Und ein Wahlsieg Prodis mit dem neuen, von Berlusconi durchgedrückten Proporzwahlrecht hieße: Das Mitte-links-Bündnis hätte tatsächlich die Mehrheit im Land, erstmals seit 1994.

Kaum Probleme gelöst

Das wäre wirklich eine kleine „italienische Revolution“. Daneben aber gibt es in den letzten Umfragen ein „italienisches Wunder“ mit ganz entgegengesetzten Vorzeichen zu besichtigen. Berlusconi ist zwar hinter Prodi auf den zweiten Platz gerutscht, aber immer noch 46 bis 48 Prozent der Wähler identifizieren sich mit seinem Rechtsbündnis, das mit vielen Koalitionskrisen, aber mit wenigen politischen Erfolgen geglänzt hat. Weitgehend unumstritten sind in Italien eigentlich nur die Einführung des strengen Rauchverbots in Restaurants und Bars und die Schaffung des Punkteführerscheins. Im Jahr 2001 erreichte die Koalition des Regierungschefs 49,5 Prozent – bloß ein kleiner Teil seiner Wähler also hat ihm laut den Umfragen also den Rücken gekehrt.

Warum bloß wählen so viele Menschen diesen populistischen Selbstdarsteller, der einen gewaltigen Interessenkonflikt vor sich herschiebt zwischen seiner Rolle als reichster Mann der Nation, als größter Medienunternehmer des Landes und seinem politischen Amt, der sich in einem Dauerkrieg mit der Justiz befindet, der keines der Probleme Italiens löste, dafür alle seine persönlichen Probleme mit neuen maßgeschneiderten Medien- und Justizgesetzen? Ein dreifaches „I“ ist die Antwort: Interessen, Ideologie, Ignoranz.

Interessen: Berlusconi hat sich intensiv um sich selbst gekümmert – aber auch um andere. Sein radikales Versprechen von bloß noch zwei Einkommenssteuersätzen konnte er zwar nicht einhalten. Wer viel Geld hat, war dennoch unter Berlusconi gut bedient. Jahr für Jahr gab es eine Steueramnestie; die Steuersünder konnten mit einem bescheidenen, deutlich unter dem Niveau der hinterzogenen Steuern liegenden Obolus alles wieder in Ordnung bringen. In dem Land, in dem fast ein Drittel der Erwerbstätigen zu den Selbstständigen zählen, in dem die Händler und Handwerker, die Rechtsanwälte und Ärzte, die Unternehmer und Vermieter traditionell nach Kräften die Steuern hinterziehen, wurde die Regierung Berlusconi als Befreiung vom Steuerjoch der Linken erlebt. Unter der Mitte-links-Regierung, die 1996 bis 2001 im Amt war, hatte der Kampf gegen die Steuersünder oberste Priorität, stieg zum Beispiel das Mehrwertsteueraufkommen von einem Jahr aufs andre um 10 Prozent, während die Wirtschaft bloß um 2 Prozent wuchs. Und auch jetzt wieder hat Prodi versprochen, er wolle für mehr Steuergerechtigkeit im Land sorgen – per Steuerehrlichkeit. Das Gros der Selbstständigen empfindet dies natürlich als Kampfansage – und wird wohl auch diesmal wieder Berlusconi wählen.

Angstbild Kommunisten

Ideologie: Wahlkampf für Wahlkampf malt Berlusconi die „kommunistische Gefahr“ an die Wand. Das klingt für unbeteiligte Beobachter völlig absurd; selbst die beiden, zusammen höchstens 9 Prozent erreichenden Kommunistischen Parteien im Prodi-Bündnis fordern nicht mehr die Umwälzung des Kapitalismus, sondern höchstens dessen sozialstaatliche Einhegung. Italien aber ist neben Deutschland das zweite Land Westeuropas, in dem der Kalte Krieg das Land gespalten hatte, nicht per Mauer, sondern als innere Spaltung zwischen dem Lager der Kommunisten und dem von den Christdemokraten angeführten Regierungslager. Die Mehrzahl der Kommunisten hatte sich Anfang der Neunzigerjahre mit der Gründung der Partei der Linksdemokraten sozialdemokratisch gewendet – dennoch blieben sie in den Augen der konservativen Wähler „die Roten“, denen man nicht über den Weg trauen kann. Noch heute, so stellen die Wahlforscher fest, ist die Wählerwanderung zwischen der Linken und der Rechten minimal, stehen sich „zwei Italien“ gegenüber. Das eine, das konservative Italien hat nach dem Zusammenbruch der Christdemokraten vor gut zehn Jahren in Berlusconi sein neues Bollwerk gefunden.

Ignoranz: Berlusconi kontrolliert 45 Prozent des Fernsehmarktes direkt, zudem hat er als Regierungschef Zugriff auf die staatliche RAI, in einem Land, in dem 77 Prozent der Bevölkerung das Fernsehen als erste Informationsquelle nennen, nur knapp 7 Prozent dagegen die Zeitung. Vor fünf Jahren ergab eine breite Erhebung des Wahlforschungsinstituts Itanes, dass Berlusconi die größten Chancen bei jenen Wählern hat, die keine Zeitung lesen, und dass sie mit jeder Stunde zunehmen, die Zuschauer mit dem Anschauen der Berlusconi-Programme verbinden. Unbekümmert malen die Berlusconi-Kanäle auch jetzt das Bild von einem blühenden Italien, dessen Prestige im Ausland unter dem Weltstaatsmann Berlusconi gewachsen sei.

Doch während Interessen und Ideologie noch genauso wie 2001 funktionieren mögen, stößt die Medienmacht jetzt an ihre Grenzen, obwohl sie größer ist denn je. Seinen Interessenkonflikt, seine Justizprobleme kann Berlusconi in den ihm hörigen Sendern wegreden lassen – nicht aber die Alltagsprobleme der Italiener mit prekären Jobs und sinkenden Einkommen. Wenn sie ihn abwählen, dann allein aus diesem Grund: nicht weil er in ihren Augen ein demokratischer Skandal wäre, sondern weil er als Regierungschef schlicht versagt hat.