Die Debatte ist schön!

Feuilletonstreit um ein Literaturlexikon: Der FAS-Redakteur Volker Weidermann antwortet öffentlich

Wenn man sonst keine Sorgen hat, streitet man sich um Repräsentatives. Wie, beispielsweise, um das Buch „Lichtjahre – eine kurze Geschichte der deutschen Literatur von 1945 bis heute“. Der Autor ist Volker Weidermann und verantwortet die (Hoch-)Kulturseiten der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. In der Süddeutschen Zeitung wie in der Zeit wurde seinem Werk vorgehalten, es wüsste den Rang von gewissen Autoren (Nossack) nicht zu würdigen, außerdem andere Nachkriegsschriftsteller mit besonderer Aufmerksamkeit zu bedenken. Insgesamt fiel das Urteil, ja, Verdikt, fast gleichmütig aus: Literaturwissenschaftliche Erwägungen lasse er nicht gelten, dafür umso mehr Qualitäten der Unterhaltsamkeit.

Heißt für das auf Bestsellerpublikationen geeichte Publikum, dass Weidermann so unschnöselig war, eine Geschichte des Leseguts zu schreiben, nicht eine der textuellen Verheiligung. Dass er die Leidenschaft pries und nicht das hermetische Werk. In der Debatte hat sich der Angegriffene selbst zu Wort gemeldet, und zwar in der Alltagsausgabe seiner Zeitung: „Das Lesen ist schön“, heißt die Überschrift seiner Replik, deren Unterzeile „Ja, Leidenschaft: Warum Literatur und Kritik lebendig sind“.

Weidermann nun sagt, er habe keine Kanonisierung betreiben – sondern eine, nämlich seine Version des literarischen Geschehens seit den braunen Jahren mitteilen wollen. Den Streit selbst bezeichnet er als im Grunde esoterisch, denn das Millionenpublikum an Bücherlesern interessiere sich fürs Lesen und Schmökern, nicht für die literarische Qualität der Schriftwerke. „Leben und Theorie, Herz und Kopf. Erkenntnis und Leidenschaft!“, schreibt er, darauf komme es an. Nicht um hochnäsige Kritik an einem Publikum, dem es Lust zu machen gelte an Büchern – nicht es zu belehren, einen bestimmten Kanon zu studieren verfehlt zu haben.

Die Kritik, so Weidermann, glaube immer noch, „die Autoren müssten von ihr lernen“. Er hingegen „glaubt, es ist umgekehrt“. Das darf als feuilletonistische Breitseite wider ein wissenschaftlich verbrämtes Kunstverständnis als Religion vom Kunsthaften genommen werden. Gut so. Von der Sache her sowieso.

Besser aber noch, weil auch für den Hochkulturbetrieb gilt, was in allen gesellschaftlichen Sphären Gültigkeit hat: Öffentlich verteilte Schmäh ist unterhaltsam – und unbedingt literaturfähig. Textuell ohnehin. Aber auch, weil alle Beteiligten leben – und diesen Streit mit möglichst wenig Gesichtsverlust überleben müssen. Denn man trifft sich ja immer wieder. Auf Buchmessen, bei Lesungen und Abendessen in Verlagshäusern. Ausgemacht wird neu, wer dort auch in Zukunft eingeladen werden muss.

Weidermanns Buch ist eine Schrift, die Unruhe in einem Mikromilieu stiftet. Weil es um Aufmerksamkeitskämpfe geht, also um Pop. Marcel Reich-Ranicki und Elke Heidenreich machen vor, wie es geht: Neiderweckung. Bitte mehr Deutungskämpfe! JAF