„Mit Putin Klartext reden!“

Der weißrussische Oppositionelle Oleg Manajew über die Wahlen in seiner Heimat, Sanktionen der EU, die Rolle Russlands und seine Erwartungen an den Westen

taz: Herr Manajew, viele Kommentatoren glauben, dass auch freie und faire Wahlen in Weißrussland dieses Mal eine Mehrheit für Staatspräsident Alexander Lukaschenko gebracht hätten. Decken sich die Aussagen mit den Umfragen ihres Instituts?

Oleg Manajew: Eine traurige Frage. Ja, das zeigt unsere routinemäßige Februarumfrage von 1.500 Befragten über 18 Jahre. Davon hätten etwa 60 Prozent Lukaschenko gewählt. Die Oppositionsführer Alexander Milinkewitsch und Alexander Kosulin hätten zusammen 25 Prozent bekommen. Aber man kann das natürlich nicht als faire und freie Wahlen bezeichnen. Anhänger der Opposition wurden schon bei der Listenaufstellung blockiert. Die Medien sind fest in Lukaschenkos Hand. Jeder Oppositionskandidat durfte nur je eine halbe Stunde im Radio und im Fernsehen sprechen, aus Kosulins Rede wurden mehrere Minuten rausgeschnitten, weil er Lukaschenko angeblich diffamierte. Wenn wir ein Jahr lang Zeit hätten, eine demokratische Situation zu schaffen, echte Wahlkomitees, freien Zugang zu den Medien, sähe die Sache vielleicht anders aus.

In Europa sind die möglichen Sanktionen ein großes Thema. Wie kann man die Regierung treffen, ohne den Menschen zu schaden?

Ich befürworte Einreiseverbote. Die meisten der politisch Verantwortlichen wollen zwar gar nicht nach Europa reisen. Aber sie haben Verwandte, Freunde, Kollegen – wenn die dann nach Österreich zum Skifahren gehen, und ich kann nicht mit, ist das peinlich. Jeder weiß, warum. Die Familie sitzt vor dem Fernseher, Euronews zum Beispiel, und der Sprecher sagt, Mister Ivanow Petrowitsch hat Einreiseverbot in die EU. Die Kinder hören das, die Enkel … die moralische Wirkung ist ziemlich stark. Unserer Ansicht nach sollten nicht nur Schlüsselfiguren einbezogen werden, sondern Provinzpolitiker, Richter, Herausgeber und Chefredakteure, die Propaganda verbreiten, Schulleiter, die Druck auf Eltern und Lehrer ausgeübt haben. Mit gut dokumentierten Fällen von Menschenrechtsverletzungen – es gibt diese Listen – würde man den Scheinwerfer auf die Menschen richten, die für das Klima von Unterdrückung und Propaganda verantwortlich sind.

Wenn Sie die Situation in Georgien, Kirgisien und der Ukraine mit Ihrem Land vergleichen – wo liegen die Unterschiede?

Die Repression in Weißrussland ist viel brutaler. Ein halbes Jahr vor der orangen Revolution saßen die Oppositionellen schon im Stadtrat von Kiew, sie hatten ihren eigenen Fernsehkanal Channel Number Five und starke Unterstützung von Oligarchen, die sich von einem Machtwechsel persönliche Vorteile versprachen. Es gab Ansätze für einen Wettbewerb von Ideen und Organisationen. Lukaschenko hingegen verstärkte sein Monopol in allen gesellschaftlichen Bereichen, Medien, Forschung, Politik. Der gravierendste Unterschied aber ist, dass der Westen Weißrussland als Einflusszone Russlands abgeschrieben hat.

Sollte die EU gegenüber Moskau energischer auftreten?

Seit zwölf Jahren appellieren wir Intellektuellen an den Westen von Washington bis Tokio. Erst seit einigen Wochen ist ein Umdenken zu spüren, zum Beispiel in Bushs neuer Sicherheitsstrategie. Jetzt endlich bringen die westlichen Politiker das Thema gegenüber dem russischen Präsidenten Wladimir Putin zur Sprache, ohne nur an ihre Ölversorgung oder die Abhängigkeit von russischem Gas zu denken.

Wird das Wirkung zeigen?

Putins Regime wirkt auf den ersten Blick viel offener als unser eigenes. Er ist pragmatisch, hat gute Ratgeber. 80 Prozent der Wirtschaft ist in Privatbesitz, 20 Prozent sind verstaatlicht, in Weißrussland ist es genau umgekehrt. Wir haben natürlich nicht erwartet, dass Putin Lukaschenko über Nacht fallen lässt. Wir dachten aber, dass er das Gespräch mit Kirchenführern, mit liberalen oder nationalistisch orientierten Oppositionellen suchen wird. Doch seit klar ist, dass Gazprom weiterhin zu einem Preis von weniger als 50 Dollar pro tausend Kubikmeter an Weißrussland liefern wird, ist offensichtlich, dass Putin Lukaschenko weiter stützt. Deshalb muss ich jetzt an den Westen appellieren: Nutzen Sie ihre Kanäle beim G-8-Gipfel oder anderen Gelegenheiten, ändern Sie ihre Haltung zur russischen Führung, reden Sie Klartext mit Putin!

INTERVIEW: D. WEINGÄRTNER