Das paradiesische Vorbild bröckelt

TOURISMUS Kuba hat wirtschaftlich von den Devisen seiner Besucher profitiert. Trotz Nachhaltigkeitssiegel kämpft das Land aber nun mit Umweltproblemen. Das Konzept für sanften Tourismus greift bislang zu kurz. Auch der Staat steht den Akteuren teilweise im Weg

VON FRANK HERRMANN

Als Kolumbus am 28. Oktober 1492 kubanischen Boden betrat, ahnte er nicht, dass er in Amerika statt in Indien gelandet war. Er ahnte auch nicht, dass 521 Jahre später auf der Karibikinsel jährlich fast drei Millionen Touristen Urlaub machen würden. Als Klimaanlage diente dem Seefahrer der Wind, getrunken wurde aus Holzbechern, gereist auf Segelschiffen und all inclusive waren damals nur Sonne und Moskitos. Äußerst nachhaltig.

Heute kommen Fernreisende mit Flugzeugen, die Klimagase erzeugen, Kreuzfahrtschiffen, die schädliches Schweröl verbrennen, sie verbrauchen Unmengen von Energie für Klimaanlagen und Kühlschränke, sie trinken aus Aluminiumdosen und Wegwerfplastikflaschen. Millionenfach. Auch auf Kuba. Nicht nachhaltig.

Der Tourismus half Kuba Anfang der 1990er Jahre nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, des wichtigsten Handelspartners, wieder auf die Beine. In dieser „Sonderperiode“, wie die Krisenjahre offiziell genannt werden, setzte man auf Tourismus. Die Regierung weitete den Bau von Ferienresorts stark aus.

Rund 20 Jahre später holen Kuba die Schattenseiten des Tourismus ein. Millionen von Besuchern, darunter jährlich etwa 100.000 Deutsche, hinterlassen neben Devisen eine Menge Müll und verbrauchen mehr Wasser und Strom als die Einheimischen. Nicht ganz unproblematisch für den Inselstaat, der einen Ruf zu verlieren hat: nämlich den als nachhaltigste Nation der Erde, wie die Umweltorganisation WWF 2006 konstatierte. Ihr zufolge unterschreitet der Ressourcenverbrauch eines Kubaners, den eines Europäers um das Vier-, den eines US-Amerikaners gar um das Sechsfache.

Kaum wer kennt das Siegel

Dass Touristen Kubas Umweltbilanz nicht weiter verschlechtern, ist ein Anliegen von AvenTOURa. Der Freiburger Kuba-Spezialist propagiert einen nachhaltigen Tourismus. Und weist dies mit dem Siegel CSR-Tourism-Certified nach. Noch nie gehört? So ging es auch Ende März 2013 den Teilnehmern einer AvenTOURa-Rundreise durch Kuba. Sie hatten mit den Reiseunterlagen einen CSR-Flyer erhalten, konnten aber mit dem Label wenig anfangen. „Viele Reisende kennen das Siegel noch nicht, obwohl es externe Stellen wie Stiftung Warentest oder label-oline.de als empfehlenswert eingestuft haben, bestätigt Angela Giraldo von KATE, der Kontaktstelle für Umwelt und Entwicklung in Stuttgart: „Das Siegel ist relativ neu; die ersten Unternehmen wurden erst 2009 zertifiziert“. KATE ist Gesellschafter der Zertifizierungsgesellschaft TourCert, die das Siegel vergibt.

Das Siegel und das Thema Nachhaltigkeit im Tourismus sind bislang auch bei den Angestellten des AvenTOURa-Büros in Havanna noch nicht richtig angekommen. Für Nicole Engässer, einzige deutsche Mitarbeiterin von AvenTOURa in Havanna, zuständig für Qualitätsmanagement und Kundenbetreuung, reduziert sich Nachhaltigkeit auf sparsamen Papierverbrauch im Büro und den Besuch sozialer Projekte im Rahmen der Gruppenreise. Der Besuch und die Unterstützung der Projekte sind für viele AvenTOURa-Kunden ein wichtiger Buchungsgrund. Sie vermitteln zwar interessante Einblicke in die kubanische Realität, machen aber die Reise bezüglich Transport, Unterkunft oder Essen nicht nachhaltiger.

Um Reiseleiter, Busfahrer oder Zimmermädchen – allesamt staatliche Angestellte – auf nachhaltigen Kurs zu bringen, sind dem Veranstalter Grenzen gesetzt. „Auf Kuba ist der Spielraum für ökologische und soziale Kriterien aufgrund des staatlichen Systems schwieriger als anderswo“, so Anne Dorweiler von AvenTOURa.

Dennoch ließe sich das rot-weiße Siegel mit mehr Inhalt füllen. Touristen solten Reiseziele nicht dreckiger verlassen, als sie vorgefunden wurden, und rücksichtsvoll mit lokalen Ressourcen umgehen. Dabei spielen Reiseveranstalter, ihre Partneragenturen vor Ort und die Reiseleitung eine wichtige Rolle. Es braucht keine Wegwerfplastikbecher für Begrüßungscocktails oder unnötig laufende Klimaanlagen in Hotelzimmern und Bussen. Müll muss nicht in den Papierkörben von Naturschutzgebieten landen, sondern kann wieder mitgenommen werden, und in Restaurants sollte Bier aus Flaschen statt aus Aludosen getrunken werden. Das ist allen Beteiligten zumutbar. Ein faires, nachhaltiges Tourismussiegel sollte so praxisnah sein.