Stadt in Pakistan soll verlegt werden

In den Erdbebengebieten beginnt jetzt offiziell der Wiederaufbau. Die Militärregierung, Hilfsorganisationen und Geberländer entscheiden, die Betroffenen sollen sich fügen, selbst wenn sie im Rahmen eines Großprojekts umgesiedelt werden sollen

VON NILS ROSEMANN

Die zentrale Wiederaufbaubehörde Pakistans hat ihr Urteil über die Zukunft einer Stadt gefällt. „Die vom Erdbeben zerstörte Stadt Balakot wird an einer neuen Stelle wieder aufgebaut,“ erklärte Pakistans Informationsminister Scheich Raschid Ahmedam am Sonntag im Anschluss an eine Sitzung in Islamabad. Am 7. April beginnt die offizielle Wiederaufbauphase nach dem schweren Erdbeben im vergangenen Herbst. An den Bedürfnissen der Betroffenen gehen die Aufbaupläne aus der Hauptstadt oft vorbei.

In Balakot, das nun verlegt werden soll, haben von den ehemals 40.000 Einwohnern etwa 6.000 überlebt. Viele haben bereits begonnen, ihre Stadt wieder aufzubauen. „Eine Schule aus Fertigteilen und die Tankstelle sind die einzigen Gebäude, die stehen geblieben sind. Daher wissen wir, wie die neuen Häuser gebaut werden müssen“, erklärte Bürgermeister Junaid Qasim.

Der Behördenbeschluss, Balakot zu verlegen, stützt sich auf seismologische Untersuchungen von türkischen, chinesischen und norwegischen Experten. „600 Hektar im nördlichen Verwaltungsbezirk Balakot können wegen der Gefahr neuer Erdbeben nicht mehr bebaut werden“, sagte der Leiter der regionalen Wiederaufbaubehörde, Dschamscheed Ul Hassan. Für die Menschen im ehemaligen Touristengebiet Balakot ist diese Entscheidung kaum nachvollziehbar. Sie hängen an dem Rest ihres Eigentums, den ihnen das Erdbeben gelassen hat. Der ehemalige Hotelbesitzer und Bürgermeister Qasim hat 36 Familienmitglieder, darunter eigene Kinder, verloren und auf seinem Land begraben. In Erinnerung an die Toten haben viele Überlebende den Winter über zwischen den Trümmern ausgeharrt.

Die bis auf Präsident General Pervez Musharraf zurückgehende Entscheidung macht die Zukunft der BewohnerInnen ungewiss, denn ein Ort für das Großprojekt „Modellstadt Neu-Balakot“ wurde noch nicht gefunden. Fest steht hingegen, dass es für die Menschen in Balakot zunächst kein Wiederaufbaugeld geben wird. Pro Haus soll eine Familie zweimal umgerechnet etwa 1.000 Euro erhalten. Diese staatlich geplante Unterstützung sollen Erdbebenopfer in ihren Heimatgemeinden ausgezahlt bekommen. Da der Standort für Neu-Balakot aber noch nicht feststeht, können dessen künftige EinwohnerInnen ihre Wiederaufbauhilfe nirgendwo einfordern. Ein ähnliches Problem haben sie, wenn sie die für die anlaufende Aufbauphase festgelegten monatliche Überlebenshilfe von etwa 40 Euro pro Familie einfordern wollen. Auch diese Unterstützung bekommen die Menschen aus Balakot nirgends.

Besonders betroffen sind die Familien, die bislang in staatlichen Zeltlagern lebten. Am 31. März, dem offiziellen Ende der Überlebenshilfephase, stellte die Regierung dort ihre Unterstützung ein. Für diejenigen, die nicht in ihre Heimatgemeinden zurückkehren können, weil noch zu viel Schnee in den Bergen liegt oder, wie im Fall Balakot, eine Rückkehr verboten ist, bleiben oft nur die von fundamentalislamistischen Organisationen betriebenen Zeltlager als Zuflucht. Dort haben Regierung und internationale Organisationen keinen Einfluss.

Neben der pakistanischen Armee sowie nationalen und internationalen Nichtregierungsorganisationen versorgte allein das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen knapp eine Millionen Betroffene. Der 31. März gilt auch für die Vereinten Nationen und einen Großteil der Hilfsorganisationen als Ende der Überlebenshilfe. Für die UNO ist die Bilanz ernüchternd. Von den im Oktober 2005 in einem „Blitzappell“ beantragten 556 Millionen US Dollar fehlt immer noch ein Drittel.

Für die jetzt beginnende Wiederaufbauphase wurden bisher 6,5 Milliarden US-Dollar zugesagt. Seit Sonntag ist ein Team von ExpertInnen aus elf Ländern, darunter Deutschland, Frankreich und die USA, in Pakistan, um Hilfsmöglichkeiten für die Regierung zu erörtern.

Inwieweit die unmittelbare Hilfe und die Beteiligung Betroffener dabei eine Rolle spielen wird, ist unklar. Hilfsorganisationen vor Ort vermuten, dass auch in der Wiederaufbauphase Entscheidungen von oben anstatt auf Grundlage demokratischer Beteiligung und Bedürfnisanalyse von unten getroffen werden. Balakot ist dafür nur ein Beispiel.