Hungern für Baustopp

Der indische Narmada-Staudamm soll ausgebaut werden. Kritiker halten 35.000 Menschen für bedroht

MUMBAI taz ■ Matt und müde liegen sie unter löchrigen Zeltplanen im Stadtzentrum von Neu-Delhi, Helfer fächeln ihnen mit Zeitungen Luft zu. Seit sechs Tagen nehmen die drei Hungerstreikenden keine Nahrung mehr zu sich. Es geht um Indiens umstrittenste Baustelle, den Sardar-Sarovar-Staudamm am Narmada-Fluss. Medha Patkar, die Anführerin der Bewegung „Narmada Bachao Andolan“, und ihre beiden Mitstreiter Jamsingh Navgave und Bhagwati Patidar wollen die Regierung zwingen, die kürzlich wieder aufgenommenen Bauarbeiten anzuhalten.

„Die geplante Erhöhung der Dammmauer verletzt die Anordnung des Obersten Gerichtshofs“, sagt Patkar. Dieses hatte es zur Bedingung gemacht, dass alle von der Überflutung betroffenen Familien vollständig umgesiedelt und entschädigt werden müssten. Patkar ist der Überzeugung, dass die Baumaßnahme rund 35.000 Menschen bedroht. Die Regierungen der Unionsstaaten Gujarat, Maharashtra und Madhya Pradesh hatten der zuständigen Behörde, der Narmada Controll Authority (NCA), versichert, alle betroffenen Familien umgesiedelt zu haben. Am 9. März hatte die NCA die Fortführung der Bauarbeiten genehmigt. Wenige Stunden später traten die Bagger wieder in Aktion.

Seit 18 Tagen veranstalten Dorfbewohner aus dem Narmada-Tal nun Sitzstreiks in der Hauptstadt, belagern das Wasserministerium und lassen sich verhaften. Pressekonferenzen und Kundgebungen fanden auch in anderen Städten statt. Damit rückt eine von vielen schon längst tot geglaubte Protestbewegung wieder ins Rampenlicht der Öffentlichkeit. Die „Narmada Bachao Andolan“ leistet seit 20 Jahren gewaltfreien Widerstand gegen die Staudammprojekte in der Region, die sie als sozial unausgewogen und ökologisch riskant kritisiert. 1991 bekam sie dafür den Alternativen Nobelpreis. Über die Jahre geriet die Bewegung jedoch in die Krise. Heute scheint die Fertigstellung des Sardar-Sarovar-Dammes kaum noch aufzuhalten.

Und doch versammelten sich vorgestern hunderte Menschen zu einem öffentlichen Hearing am Ort des Protestes, dem alten Sternenobservatorium Jantar Mantar – darunter die Erfolgsautorin Arundhati Roy, linke Politiker, führende Aktivisten und Publizisten. Zuvor hatte auch der ehemalige Premierminister V. P. Singh die Demonstranten besucht. Für heute ist eine Soli-Demo in Mumbai geplant.

„Nein, die Bewegung ist nicht gescheitert“, erklärt Pervin Jehangir, Sprecherin der Protestbewegung in Mumbai. „Wir haben ein öffentliches Bewusstsein für die Gefahren großer Staudämme geschaffen und die Weltbank dazu veranlasst, aus dem Projekt auszusteigen.“ Jehangir macht die Presse dafür verantwortlich, dass der Konflikt am Narmada aus dem öffentlichen Bewusstsein verschwunden ist.

In New Delhi verschlechtert sich derweil der Gesundheitszustand der Hungerstreikenden. Sie wollen so lange weitermachen, bis ihre Forderung nach einem Baustopp erfüllt wird.REGINE HAFFSTEDT