Karadžić wehrt sich

KRIEGSVERBRECHER-TRIBUNAL Der bosnische Serbenführer Karadzic bezichtigt muslimischen Zeugen der Lüge

20 Häftlinge wurden gezwungen, ihr eigenes Grab auszuheben, sagt Ahmed Zulic

DEN HAAG taz | Vertreibung und Misshandlung, Folter und Mord: Der erste Zeuge, den die Anklage im Kriegsverbrecherprozess gegen Radovan Karadžić angehört hat, belastet die bosnisch-serbischen Einheiten schwer. Der bosnische Muslim Ahmed Zulić, ein 62-jähriger Minenarbeiter aus Sanski Most, war von Juni bis November 1992 im berüchtigten bosnisch-serbischen Gefangenenlager Manjača interniert, in dem rund 4.000 Menschen festgehalten wurden. Dort sei er Zeuge geworden, wie 20 Häftlinge zunächst gezwungen worden seien, ihr eigenes Grab auszuschaufeln, bevor man sie ermordete.

Bei der Wiederaufnahme des Prozesses vor dem Jugoslawien- Tribunal am Dienstag sagte Zulić, er selbst sei in Manjača fast totgeschlagen worden, als er sich bei einem Besuch des Roten Kreuzes medizinisch untersuchen ließ. Die Leitung des Lagers hatte dem Roten Kreuz zuvor die korrekte Behandlung der Insassen versichert. Andere Häftlinge seien dort verhungert.

Als Zeichen für die im Lager gängigen Misshandlungen präsentierte Zulić dem Gericht am Mittwoch seinen Bauch, auf dem ein Kreuz zu sehen war, das bosnische Serben ihm „in die Haut geritzt“ hätten. Zudem berichtete er von einem Gefangenentransport vom Internierungslager Betornika nach Manjača. Die Häftlinge seien an einem heißen Tag auf einem mit schwerer Plane bedeckten Lastwagen zusammengepfercht worden und hätten weder Wasser noch ausreichend Sauerstoff gehabt. Daran seien mehrere Menschen gestorben. Er selbst habe aus einer Parfümflasche seinen eigenen Urin getrunken. Bevor die muslimischen Bewohner von Stanski Most nach Manjača gebracht wurden, habe er gesehen, wie die Häuser von Muslimen in Brand gesteckt und den Bewohnern die Kehlen durchgeschnitten wurden.

Der frühere Präsident der bosnisch-serbischen Teilrepublik zeigte sich von allen Vorwürfen unbeeindruckt. Karadžić unterzog Zulić, der bereits in drei Fällen vor dem Jugoslawien-Tribunal als Zeuge ausgesagt hat, einem stundenlangen Kreuzverhör. Dabei versuchte er ihm nachzuweisen, er sei seinerseits auf bosnischer Seite in den Bürgerkrieg verwickelt gewesen. „Ich war sicher kein Teil des bewaffneten Widerstands“, entgegnete Zulić mehrfach. Karadžić versuche, ihm Worte „in den Mund zu legen“. Auch eine Beteiligung der „Grünen Barette“, einer Miliz der bosnischen Muslime an den Vorfällen in Stanski Most, wie Karadžić behauptete, wies Zulić entschieden zurück.

Für die Strategie Karadžić’, der auf seinem Recht besteht, sich selbst zu verteidigen, ist eine solche Beteiligung essenziell. Bereits bei seinem Eröffnungsplädoyer im März hatte der 64-Jährige der muslimischen Seite die alleinige Schuld für den bosnischen Bürgerkrieg zugewiesen, bei dem in der Zeit von 1992 bis 1995 rund 100.000 Menschen getötet wurden.

Die Muslime hätten unter Führung des Fundamentalisten Alija Izetbegović einen Gottesstaat errichten wollen, wogegen sich die bosnischen Serben verteidigen mussten. Am Mittwoch kündigte Karadžić daher an, er werde die Darstellung des Zeugen „entkräften“. Zulić selbst sei „voreingenommen“ und von der Anklage „gut trainiert“ worden. Seine Aussage bestünde aus „Lügen“.

Im weiteren Verlauf soll das Verfahren an drei Tagen pro Woche im April fortgesetzt werden. Die Anklage will dabei die ersten 12 von insgesamt 410 Zeugen aufrufen. Darunter befinden sich weitere Kriegsopfer, ehemalige UN-Blauhelmsoldaten sowie zwei Personen, deren Identität geheim gehalten wird.

Der nächste Zeuge soll über seine Vertreibung aus der Serbenhochburg Pale und die Belagerung von Sarajevo aussagen. TOBIAS MÜLLER