Wie Diesel und Turbo

Am Montag konnten die Italiener das finale TV-Duell zwischen Ministerpräsident Silvio Berlusconi und Herausforderer Romani Prodi verfolgen. Als Sieger sehen sie sich beide – selbstverständlich

VON MICHAEL BRAUN

Richtig gut gelaunt war Silvio Berlusconi am späten Dienstagabend. In zwei Sätzen, 6:0 und 6:0, habe er im TV-Duell seinen Gegner abserviert, strahlte der Ministerpräsident. Komisch nur: Zur gleichen Stunde stieß auch Romano Prodi mit seinen Mitarbeitern auf den „Sieg“ an.

Ein Duell, zwei Sieger: Diesmal erlebten die Zuschauer ein echtes Kräftemessen, anders als beim ersten Match Berlusconi–Prodi, als der Ministerpräsident total von der Rolle war, als er die ganze Sendung lang nervös auf den Blättern vor sich herumkrakelte, als er regelmäßig in die falsche Kamera schaute, als er selbst seinen Schlussappell wegen Überschreitung des Zeitlimits nicht zu Ende brachte.

Ganz anders der Berlusconi im Rückspiel. Konzentriert, mit sicherer Gestik, angriffslustig ging er auf Prodi los. Der wiederum war ganz der Gleiche geblieben; betont ruhig, siedelte er seinen Ton wie gewohnt zwischen Dozieren und Predigen an. Einen „harten, aber fairen“ Austausch von Argumenten wünsche er sich, so begann der Professore, die Wähler mit einem kräftigen Lächeln umschmeichelnd. Berlusconi lächelte nicht; stattdessen wies er das Fairplay-Angebot rüde zurück. Mit dieser Linken, die seine Regierung mit Schmutzkübeln übergieße, die zu den übelsten Beleidigungen greife, sei ein fairer Dialog eben nicht möglich.

So waren schon am Startblock die Unterschiede klar: Auf der einen Seite stand Prodi, der freundlich tuckernde Diesel, auf der anderen Berlusconi, der kräftig aufjaulende Turbo. Und wie es nicht anders zu erwarten ist, fuhr der Turbo erst mal davon. Prodi rang – ganz wie vor drei Wochen – in den ersten 20 Minuten nach Worten, nuschelte, wirkte verspannt.

Doch dann lief der Diesel warm – nicht zuletzt, weil Berlusconi wieder die Fabel herausholte, die Linke wolle Hausbesitzer, Sparer, Erben, überhaupt den ganzen Mittelstand mit Steuererhöhungen ausplündern. Plötzlich redete Prodi flüssig und konzentriert, versprach mit festem Blick in die Kamera, natürlich werde es keine Steuererhöhungen geben, „außer für die Erben wirklich großer Einkommen“, der Blick wurde noch etwas treuherziger, „und Sie alle wissen, auf mein Wort ist Verlass“.

Nach dem flotten Start dagegen kam der Turbo Berlusconi ins Stottern. Er, der vor fünf Jahren die Wahl gewonnen hatte, weil er den Italienern viele neue Arbeitsplätze, steigende Renten, sinkende Steuern verheißen hatte – er hatte jetzt nichts anderes zu bieten als den Albtraum einer siegreichen Linken, der „Kommunisten“, die Prodi als „nützlichen Idioten“ vorschickten. Daneben zeichnete er das Bild eines Italien, das unter seiner Ägide doch prima funktioniere. Leichtes Spiel für Prodi, auf Nullwachstum und sinkende Einkommen, auf die Misere der Schulen – „Die Schüler müssen sich sogar die Kreide von zu Hause mitbringen, weil kein Geld mehr da ist“ – und der Universitäten hinzuweisen.

Und als Berlusconi mal wieder seine Lieblingsnummer gab – die Zuschauer mit einem Haufen Zahlen à la „die 36 von mir verabschiedeten Reformen“ oder „die 57 Milliarden in Infrastrukturen investierten Euro“ – zuzuschütten, platzierte Prodi einen Uppercut, der saß. Süffisant lächelnd bemerkte der Oppositionskandidat: „Sie klammern sich an Ihre Zahlen wie ein Besoffener an den Laternenpfahl …“ Da rastete Berlusconi aus – gegen die Regeln, die das Unterbrechen des Gegner verbieten. „Wie ein Besoffener“, schrie er, rede hier höchstens Prodi. Der wiederum fuhr ganz unaufgeregt fort: „George Bernhard Shaw hat das gesagt. So mancher klammert sich an Zahlen wie ein Besoffener an den Laternenmast: nicht um Erleuchtung zu gewinnen, sondern um Halt zu kriegen.“

So wäre Prodi als eindeutiger Sieger aus dem Studio gegangen – hätte Berlusconi nicht bei seinem Schlussappell noch einen echten Überraschungscoup gelandet. Prodi hatte seine Schlussworte schon gesprochen und eine Regierung in Aussicht gestellt, die die politischen und sozialen Gräben in Italien überwinden werde. Berlusconi dagegen hatte Handfesteres zu bieten. Plötzlich war er wieder der Strahlemann von 2001, der Glücksbote mit dem reich gefüllten Sack voller Geschenke. Die Linke werde natürlich die Steuern erhöhen – „wir dagegen werden die Grundsteuer auf das selbst bewohnte Eigentum abschaffen, komplett. Haben Sie das verstanden?“ In einem Land, in dem über 80 Prozent der Menschen in Eigentumswohnungen leben, kann sich eine große Mehrheit gleich die Ersparnis ausrechnen, die da herausschaut.

Und jene Wähler, bei denen die Botschaft am Dienstagabend noch nicht angekommen ist, werden in den letzten Wahlkampftagen nach Kräften mit der guten Steuersenkungsnachricht eingedeckt werden. Denn abgesehen von den beiden TV-Duellen, für die Romano Prodi ein enges Korsett von Regeln durchgesetzt hatte, kann Berlusconi darauf zählen, dass seine privaten Kanäle genauso wie der Staatssender RAI treue Verbündete im Wahlkampf sind.

Gewiss: Seit 1995 regelt ein Gesetz die Waffengleichheit zwischen den Parteien während der Wahlkampagne im Fernsehen. Während der politischen Diskussionsrunden wird genau mit der Uhr gestoppt, ob auch beide Lager gleichermaßen zu Wort gekommen sind.

In der Praxis aber entpuppt sich das Gesetz immer wieder als bloßes Notpflaster. Letzten Samstag zum Beispiel lief auf dem Berlusconi-Sender Italia 1 die Polit-Talkshow „Liberi Tutti“ („Alle frei“). Berlusconis Schatzminister Giulio Tremonti und ein Abgeordneter der Postfaschisten saßen zwei Politikern des Prodi-Lagers gegenüber, und die Moderatorin Irene Pivetti schaute genau auf die Uhr. „Waffengleichheit“ eben.

Neben den Politikern aber waren zwei Journalisten im Studio, einer von ihnen: Maurizio Belpietro, Chefredakteur der Berlusconi-Tageszeitung Il Giornale. Zudem wurden drei „Experten“ zugeschaltet – und die zerrissen allesamt die Vorschläge des Prodi-Lagers in der Luft. Da kommt der Wirtschaftsprofessor Carlo Pelanda zu Wort, um auf die Frage einzugehen, welche Koalition die besseren Vorschläge zur Wohnungspolitik hat, Berlusconis Allianz („Wohneigentum fördern“) oder Prodis Union („den sozialen Mietwohnungsbau unterstützen“). Ganz ohne Argument verkündet der Professor ebenso knapp wie apodiktisch: „Die Berlusconi-Vorschläge erscheinen viel realistischer.“ Direkt darauf ist der Giornale-Chefredakteur dran; er piesackt die Oppositionspolitiker zum x-ten Mal mit der Frage nach der Finanzierbarkeit der von ihnen versprochenen Senkung der Lohnnebenkosten. Daraufhin geht dem Prodi-Freund Enrico Letta der Hut hoch. „Warum fragen Sie immer nur mich und nie den Schatzminister?“ will er wissen, und gibt sich dann selbst die Antwort: „Wir sind hier auf einem Berlusconi-Sender, der Wirtschaftsprofessor ist Kolumnist der Berlusconi-Zeitung, und Sie, Herr Belpietro sind Chefredakteur für Berlusconi.“ Da fährt die Moderatorin auf wie von der Tarantel gestochen: „Das können Sie doch nicht sagen! Dieser Sender gehört nicht Berlusconi! Er gehört vielen italienischen Bürgern!“ Letta bekommt das Wort entzogen – von wegen „Alle frei“.

Kein Wunder, dass Romano Prodi im laufenden Wahlkampf Auftritte in den Berlusconi-Sendern kategorisch ausschließt. Der Oppositionskandidat vergleicht den Medien-Wahlkampf in Italien nicht umsonst mit einem 100-Meter-Lauf, bei dem einer der Kandidaten einfach seinen Startblock um 20 Meter nach vorn verschiebt. Auch die Nachrichtensendungen bieten dafür haufenweise Beispiele. In einem Monat kam Berlusconi auf seinen eignen Sendern während der Nachrichten über zwei Stunden lang im O-Ton zu Wort, Prodi dagegen nur 20 Minuten. Bei der staatlichen RAI hatte Berlusconi 51 Minuten, Prodi nur 33.

Noch radikaler ist das Missverhältnis, wenn der Blick auf die Parteien fällt. In der Berlusconi-Nachrichten-Sendung TG4 gab es für Forza Italia 78 Prozent, für die genauso großen Linksdemokraten dagegen 1,3 Prozent, und in „Studio Aperto“ – Nachrichtensender des Berlusconi-Kanals Italia 1 – lag Forza Italia gar mit 85 Prozent gegenüber 0,5 Prozent für die Linksdemokraten vorn.

Damit nicht genug; zum Beispiel TG4-Anchorman Emilio Fede hilft dem Zuschauer kräftig nach beim Interpretieren der Nachrichten, verdreht die Augen zum Himmel, kaum fällt der Name Prodi, und schneidet allerlei Grimassen. Den beiden Berlusconi-Kanälen Italia 1 und Rete 4 hat diese „Nachrichten“-Politik jetzt Geldbußen von insgesamt 550.000 Euro wegen Verletzung des Gleichheitsgebots im Wahlkampf eingetragen.

Am gravierendsten aber, findet jedenfalls der Journalist Marco Travaglio, ist gar nicht die offene Parteilichkeit auch der Nachrichtensendungen. Schlimmer noch, so Travaglio, sei „die Verdrängung der Nachrichten aus den Nachrichten“. Nicht mehr Fakten werden dort in der politischen Berichterstattung gemeldet, sondern bloß noch Meinungen. Wenn Berlusconi mal wieder mit Ziffern um sich schießt – „Wir haben die Belastung der Bürger durch Steuern und Abgaben um 5 Prozent gesenkt“ – dann wird das eben gemeldet, als „Meinung“, ohne den Fakt, dass die Senkung in den letzten fünf Jahren in Wirklichkeit bei gerade 0,6 Prozent lag. Statt echter Nachrichten gibt es so einen unendlichen Wust von Politikererklärungen – und die sind so geschnitten, dass auf jeden Fall immer das Berlusconi-Lager das letzte Wort hat.

So wird denn auch kaum ein TV-Nachrichtenjournalist in den letzten Wahlkampftagen nachfragen, wie Berlusconi eigentlich die Abschaffung der Grundsteuer finanzieren will. Stattdessen werden die Zuschauer das Trommelfeuer begeisterter Stimmen aus dem Berlusconi-Lager abbekommen.

Offen ist, ob das reicht, um die Abwahl der italienischen Rechten noch abzuwenden – schließlich haben die Bürger die letzten fünf Jahre nicht nur in Berlusconis schöner „Nachrichten“-Welt zugebracht, sondern auch im weit trüberen realen Berlusconi-Italien.