Die Frau als Nichtfaktor

DISKUSSION Quote ist kein König_innenweg zur Emanzipation, doch wir brauchen sie

Jahrgang 1962, ist Soziologin mit Arbeitsschwerpunkten in Geschlechterforschung, feministischer Erkenntnistheorie und -kritik und Queer Theorie. Sie gilt als eine Mitbegründerin der Queer Theorie in Deutschland.

VON SABINE HARK

Ende August, pünktlich zum Auftakt der heißen Wahlkampfphase, präsentierte die Zeitschrift Emma eine Umfragestudie zum Stand der Gleichberechtigung in Deutschland, durchgeführt vom Institut für Demoskopie (IfD) in Allensbach. Mehr als die Hälfte der befragten Frauen beklagten darin den Stand der Gleichberechtigung und beurteilten diesen heute kritischer als vor sieben Jahren, so die Leiterin des IfD, Renate Köcher. Zwei Drittel hielten es deshalb sogar für nötig, sich mit anderen Frauen zusammenzutun, um ihre Interessen durchzusetzen.

Die Feminist_in in mir fragte sich augenblicklich, in welcher Weise die Parteien auf dieses protofeministische Ungemach reagieren würden. Es ist schließlich Wahlkampf und Frauen stellen fast zwei Millionen mehr Wahlberechtigte als Männer. Da ginge doch noch was. Doch weitgehend Fehlanzeige. Eine dürre Presseerklärung der SPD, nach der sie nach dem 22. September den vierjährigen Stillstand in Sachen Gleichstellung beenden würde, keine Reaktion bei den Grünen, deren gleichstellungspolitisches Programm sich doch an viele der von den befragten Frauen monierten Defizite wendet, und auch der Linken war die Studie keinen Kommentar wert. Von CDU/CSU war zu diesem Thema ohnehin nichts zu erwarten – aber die stellen ja schon die Kanzlerin und haben obendrein eine längst emanzipierte Frauenministerin in ihren Reihen, die dem Feminismus gerne mal die kalte Schulter zeigt.

Wo sich die befragten Frauen indes erstaunlich einig zeigten mit der amtierenden Bundesregierung, ist ihre Haltung zur Quote in Führungspositionen. Dieser wird kaum eine Bedeutung für die Verwirklichung der Gleichstellung beigemessen.

Nun halte ich selbst die Quote auch nicht für den König_innenweg zur Emanzipation, aber mehr politische Beachtung verdient sie dann doch. Und auch wenn die sattsam bekannten Argumente kaum wiederholt zu werden brauchen, sei daran erinnert, dass mehr als zehn Jahre nach der freiwilligen Selbstverpflichtung der deutschen Wirtschaft, das zahnlose Instrument, das einst die rot-grüne Bundesregierung schuf, die Vorstände und Aufsichtsräte deutscher Unternehmen noch immer „men only“ sind: 97 Prozent aller Vorstandspositionen in großen deutschen Unternehmen waren 2011 mit Männern besetzt. Auch das „Argument“, durch die Quote kämen Frauen nur aufgrund politischen Willens und nicht wegen ihrer Kompetenz auf die Chefsessel war schon immer, was es ist: eine Abwehrstrategie, um Macht, Einfluss, Gestaltungsmöglichkeiten und Ressourcen nicht teilen zu müssen. Vor allem aber dient es der Verschleierung männlich-homosozialer Kooptationsstrategien: Dass unter Männern oft genug nicht Eignung und Kompetenz, sondern Beziehungen und vor allem Ähnlichkeit entscheiden.

■ Nur ein Viertel der KandidatInnen für den Deutschen Bundestag sind weiblich. Das ergab eine Analyse der Europäischen Akademie für Frauen in Politik und Wirtschaft (eaf). Geht man davon aus, dass nur die bereits vertretenen Parteien wieder in den Bundestag einziehen, dann würde sich die Frauenquote dort kaum verbessern: Von 32,9 auf 33,9 Prozent.

■ Vor allem bei den DirektkandidatInnen haben die beiden großen Parteien ein Problem: So sieht etwa die SPD in Nordrhein-Westfalen trotz einer 40-Prozent-Quote nur 28,1 Prozent Frauen unter den DirektkandidatInnen vor. Die Union kommt bundesweit nur auf 22,4 Prozent.

■ Auf den CDU-Landeslisten finden sich 34,9 Prozent Frauen. Die SPD hält ihre 40-Prozent-Quote nur in 9 von 16 Ländern ein. Auch Grüne und Linkspartei, beide mit 50-Prozent-Quoten ausgestattet, können diese nicht immer erfüllen. Die Linke verpasst sie in vier Ländern, die Grünen in zwei.

■ Die FDP hat keine Quote. 20,1 Prozent der Listenplätze sind von Frauen besetzt. In zwei Ländern gibt es reine Männerlisten. (oes)

Nun geht es bei der Quote ohnehin um mehr als darum, die 700 attraktivsten Jobs der Nation geschlechtergerechter zu teilen. Rücken wir daher Weiteres in den Blick: Zu den zu 97 Prozent männlichen Vorständen gesellen sich beispielsweise mehr als 90 Prozent Frauen in der ambulanten Pflege und rund 93 Prozent Frauen im Friseurberuf. Ein Beruf, den die Innung der Friseure aufgrund seiner „Vielseitigkeit“ als „Traumberuf“ anpreist, in dem Stundenlöhne von unter 3 Euro in einigen Regionen Deutschlands jedoch die Realität sind. Das sind nur zwei Schlaglichter auf die Merkel’sche Sicht der Dinge, dass „mehr Menschen als je zuvor in Beschäftigung“ seien, wie sie in ihrem Wahlkampfspot bekundet. In Wahrheit arbeitet die Mehrzahl der Frauen in Deutschland in Teilzeit, in nicht existenzsichernder, nicht sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung und häufig in Jobs, in denen Armutslöhne die Regel sind. Zudem sind es Frauen, die die gesellschaftlich notwendige Sorge- und Reproduktionsarbeit noch immer weitgehend alleine leisten. Kurz gesagt: Die weibliche Erwerbsquote steigt, sozial- und familienpolitische Regelungen sind längst orientiert daran, dass jede erwachsene Person selbst verantwortlich ist für ihre ökonomische Existenzsicherung. Von der Einsicht allerdings, dass Sorge für sich selbst und andere eine gesellschaftlich geteilte Aufgabe und nicht die der Frauen alleine ist, sind wir noch weit entfernt.

Eine gesetzliche Quote wird diese Aufgabe selbstredend nicht lösen. Wir brauchen sie dennoch. Und dies nicht, weil wir eine geschlechtergerechtere Zusammensetzung der ökonomischen Eliten wollen, sondern weil sie im besten Fall mehr Tempo und Dringlichkeit in die Gestaltung dieser vielleicht wichtigsten Frage unserer Gesellschaft bringen wird.