In der Liebesrotation

Bei „Sex and the City“ redeten vier Frauen über Sex. Bei der US-Serie „Big Love“ redet ein Mann mit drei Frauen über Sex – seinen drei Ehefrauen. Wer will, kann darin das Mormomenmilieu erkennen

AUS WASHINGTON ADRIENNE WOLTERSDORF

Bill Henrickson schluckt eine Menge Viagra. Täglich nimmt er eine Pille aus dem Fläschchen, das er in seinen Bundfaltenhosen verwahrt. Doch Bill (gespielt von Bill Paxton) hat keine Libidoschwierigkeiten, sondern ein Nachfrageproblem. Der Grund sind seine drei „desperate Housewives“. Bill lebt im Bundesstaat Utah und ist ein Polygamist mit drei Ehefrauen.

Ansonsten sind die Henricksons die Hauptcharaktere einer typisch amerikanischen Familienserie, die der US-Sender HBO seit einem Monat in den USA ausstrahlt. Barbara (Jeanne Tripplehorn), Nicki (Chloe Sevigny) und Margene (Ginnifer Goodwin) leben in drei nebeneinander stehenden Häusern, zwischen denen Bill nach einem exakten Plan hin und her rotiert. „Big Love“ lautet der nach Spätabends-Softporn klingende Titel der Reihe, die Erfolgsschauspieler Tom Hanks koproduziert.

Bill, Manager einer Kette von Hobby-Baumärkten in einer der boomenden amerikanischen Regionen, kommt abends in seinem Landrover nach Hause gefahren, lockert nach einem langen Tag die Krawatte und zwinkert mit dem „Liebling, ich bin wieder da“-Lächeln diejenige Holde an, die heute „dran“ ist. Den Drehbuchautoren Mark Olsen und Will Scheffer geht es in der 12-teiligen Serie allerdings mehr um die Fallen des Familien- und Ehelebens in Suburbia als um sexuelle Pikanterien einer Ménage à quatre.

Der Sender HBO, der vor der letzten Grammyverleihung mit 124 die höchste Zahl an Nominierungen einheimste, wurde international bekannt mit Produktionen wie „Die Sopranos“, „Six Feet under“ und „Sex and the City“. Kritiker vermuten, dass HBO mit „Big Love“ das Erfolgsrezept der „Sopranos“, was sich auf die Kurzformel „Outlaws im Alltag“ bringen ließe, weiterkochen will. Für die erste „Big Love“-Episode führte Rodrigo Garcia Regie, der bereits bei den „Sopranos“ mit von der Partie war. Olsen und Scheffer war es wichtig, „die Henricksons so normal aussehen zu lassen wie nur möglich, obwohl sie tagtäglich mit der Herausforderung ringen, die soziale Norm zu hintergehen“.

Doch „Big Love“ könnte dem Sender massiven Protest aus ebenjenem Milieu eintragen, das die Drehbuchautoren dezent zu beschreiben suchen. Bill Henrickson muss sein eheliches Trio in der Mormonen-Stadt Salt Lake City geheim halten, denn Polygamie ist im Mormonenstaat Utah illegal. Das zu betonen, darauf legt die „Kirche Jesus Christi der Heiligen der letzten Tage“ stets größten Wert. Zwar gehört Polygamie, genannt „das Prinzip“, zur Lehre des Kirchengründers Joseph Smith. Doch erklärte die Mormonengemeinde die Vielehe bereits im Jahr 1890 zum Tabu, als die übrigen US-Staaten der Wüsten-Theokratie deswegen einen Krieg androhten und Utah um Anerkennung als US-Bundesstaat rang. Offiziellen Schätzung zur Folge bestehen dort heute noch rund 10.000 Vielehen, zum Teil mit bis zu 70 Ehefrauen, geduldet von den Behörden.

„Big Love“-Kulissen haben Ähnlichkeiten mit den größten Polygamistenkommunen der USA, Colorado City und Hildale, zwei unzugänglichen Grenzstädten zwischen Utah und Arizona. Dort lebt auch einer von Bills Schwiegervätern, der an die Gangster-Gestalten aus den „Sporanos“ erinnert, die gerade in ihre sechste Staffel gestartet sind. Mit durchaus sizilianischen Methoden macht der finstere Clanchef dem schwerbeschäftigten Bill die Hölle heiß. Er fordert von ihm den Zehnten seines ansehnlichen Einkommens als Gotteslohn. Bill hat allerdings andere Prioritäten und zieht es vor, seine Frauen auch materiell bei Laune zu halten.

Die Drehbuchautoren, die nicht preisgeben wollen, wer ihre Informanten aus dem Polygamistenmilieu sind, versuchen bei aller Realitätsannäherung, die Mormonenkirche aus dem Spiel zu lassen. Der Glauben der Henricksons bleibt daher unbenannt. Dennoch gab es bereits erste Proteste aus Salt Lake City, weil in der Serie angeblich der Mormonentempel als Kulisse missbraucht worden sei und seine Anhänger Anspielungen auf die Mormonenkultur entdeckt haben wollen.