MARTIN REICHERT über LANDMÄNNER
: Dank an die Gleichstellungsbeauftragte

Berlin und Brandenburg sollen wiedervereinigt werden? Haben wir schon lange gemacht

Es nützt überhaupt nichts, aus Berlin wegzurennen, denn früher oder später kriegt einen die Stadt wieder, erst recht wenn man es auf der Flucht bloß bis ins brandenburgische Umland geschafft hat. Dort angekommen, sieht man die Großstadt nachts noch giftig-orange am Horizont schimmern, drohend und anziehend zugleich.

Wenn es nach ihrem Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit geht, ist bald sowieso alles zu spät: BeBra ante portas, die Vereinigung von Berlin und Brandenburg soll nun endlich mal klappen. Unddasistauchgutso: Dieses doppelt administrierte Rest-Preußen ist sowieso „eine Wolke“, auch wenn dies aufgrund gewisser geschichtlicher Verwerfungen vorübergehend in Vergessenheit geraten war, bloß märkische Sandkörner im Auge des Betrachters: Die Häuser in Brandenburg sind kleiner und der Dialekt eher hell-kläffend als gut berlinisch bellend. Außerdem gibt es keine U-Bahn.

Man muss stattdessen den Regional-Express nehmen, dieselgetriebene Brotbüchsen mit unfreundlichen Schaffnerinnen, die einen zwingen, den bordeigenenen Fahrscheinautomaten zu benutzen. Womit sie sich überflüssig machen, aber unfreundlich waren sie schon vor Einführung der Automaten. Jedenfalls: Die Stadt kommt zum Land.

Am Wochenende sowieso. Auf den Landstraßen sind überall Kennzeichen-B-Fahrer, die überfordert sind, wenn sie mehr als 50 Kilometer pro Stunde zurücklegen sollen. Sie parken stattdessen und stolpern verwirrt durch die Wälder um Pilze zu sammeln, ganz egal, welche Jahreszeit gerade ist. Ganz wie bei Kaiser’s eben. Wenn sie damit fertig sind, verursachen sie einen Stau am Autobahndreieck Havelland.

Dann gibt es noch die Wochenend-Landeier, solche Menschen wie mich zum Beispiel. Feiglinge, die groß rumtröten, wie toll doch das Landleben ist, um dann sonntagabends schnell in Richtung Stadt zu entfliehen, das Stroh noch unter den Ledersohlen klebend und den Rucksack voll mit Eiern von glücklichen Hühnern.

Landleben mit Vollkasko.

Und dann ist da noch mein Freund. Der kann sich nun wirklich nicht entscheiden. Beim Holzhacken summt er ständig „Downtown“ von Petula Clark: „There are Movie Shows: Downtown!“ Unter der Woche steht er dann plötzlich abends vor der Tür und will mal „was unternehmen“. Doch schon am U-Bahnhof Kottbusser Tor findet er das alles ganz schön schlimm und im Möbel Olfe ist es dann viel zu laut und zu voll und überhaupt ist alles grau und doof.

Dieser Multioptions-Quatsch macht einen eben völlig gaga in der Birne, vor allem wenn die Grenzen zwischen den Wahlmöglichkeiten immer mehr verwischen. Die Suburbanisierung der brandenburgischen Provinz ist eindeutig fortschreitend: Auch „unsere“ Ackerbürgerstadt (7.500 Einwohner!) wird allmählich urban.

Es gibt dort zum Beispiel eine Gleichstellungsbeauftragte (demnächst veranstaltet sie einen Gesprächskreis zum Thema Osteoporose). Bald schon soll ein Go-Cart-Rennplatz errichtet werden und noch in diesem Monat wird die „Kulturscheune“ ans Netz gehen, ein alternativer Veranstaltungsort mit „französischen Chansons und Rotwein“, der auf keinen Fall Familienfeiern beherbergen möchte. Neulich habe ich sogar einen leibhaftigen Migranten gesehen. Wenn das so weitergeht, eröffnet am Ende auch noch eine ausgewiesene Homo-Bar.

Was soll das dann überhaupt noch mit dem Landleben, wenn es nicht mehr klar identifizierbar ist? Bloß noch eine Attitüde im Landhausstil?

Meinetwegen können Berlin und Brandenburg ruhig wiedervereinigt werden. Früher musste sich unsereins in die Zentren der großen Städte flüchten, um in Frieden existieren zu können. Heute ist es längst umgekehrt: Wir strömen aus den Zentren aufs Land und stören ein wenig den Frieden, um am Ende friedlich miteinander zu leben. Es nützt eben überhaupt nichts, vom Lande in die Großstadt wegzurennen. Am Ende kriegt einen das Land wieder: grüne Natur, nachts totenstill, anziehend und drohend zugleich.

Fragen zur Stadt? kolumne@taz.de Morgen: Robin Alexander über SCHICKSAL