Fit for China

Eine Lüneburger Delegation reist heute nach China, um Wirtschaftskontakte zu knüpfen. Amnesty International erinnert an die Menschenrechtslage. Die hat Hamburg 30 Jahre lang ausgeblendet

Von Elke Spanner

Chancen verwirklichen sich nicht von alleine. Sie bieten sich an, und dann gilt es, das Beste aus ihnen zu machen. So sind sich in der Stadt Lüneburg zurzeit Parteipolitiker, Menschenrechtler wie Kirchenvertreter darin einig, dass die Menschenrechtslage in China inakzeptabel ist – und die Partnerschaft mit einer chinesischen Stadt unter Umständen die Gelegenheit eröffnen kann, darauf Einfluss zu nehmen. Darin allerdings erschöpft sich der Konsens bereits. Oberbürgermeister Ulrich Mädge reist am Freitag mit einer Delegation in die Stadt Qingdao, um erste Wirtschaftskontakte zu knüpfen. Sollte es zu einer Partnerschaft kommen, sagt er, könnte perspektivisch auch das Thema Menschenrechte mit angesprochen werden. Die örtliche Hochschulgruppe von Amnesty International hingegen verlangt, die Partnerschaft mit einem Unrechtsstaat von vornherein diesem Ziel zu widmen.

Qingdao war von 1898 bis 1914 deutsche Kolonie. Heute ist die Stadt mit 2,3 Millionen Einwohnern und mehr als fünf Millionen Menschen im Umland die zweitgrößte Metropole in der Provinz Shandong. Die Hafenstadt gilt als eines der aufstrebenden Zentren Chinas. Das ist die eine Seite. Die andere ist die, dass gerade Qingdao für Hinrichtungen im Schnellverfahren berüchtigt ist. Amnesty warnte zuletzt am 9. Februar 2005 vor einem auffälligen Anstieg verhängter Todesstrafen in China. Gerichte wie das in der ostchinesischen Stadt Qingdao würden in weniger als vier Wochen einen Prozess durchführen und den Angeklagten hinrichten – einschließlich einer abgelehnten Berufung. „Dabei sind Folter, erpresste Geständnisse, fehlerhafte Schuldsprüche sowie unfaire und manipulierte Gerichtsverfahren an der Tagesordnung“, schreibt die Menschenrechtsorganisation.

Das weiß auch Lüneburgs Oberbürgermeister Mädge. Er aber sieht in Qingdao zunächst die Chance für niedersächsische Unternehmer, Geld zu verdienen. Natürlich, beteuert sein Sprecher Jörg Stauch, werde man das Thema Menschenrechte bei Gelegenheit auch ansprechen. Er verweist auf frühere Partnerschaften mit der damaligen DDR-Stadt Köthen und mit Tartu in Estland. Darüber sei ein Dialog entstanden, der auch auf die Menschenrechtslage eingewirkt habe.

Auch die Rathausfraktionen setzen auf persönliche Kontakte. So schrieb CDU-Ratsfrau Rosemarie Ebeling der örtlichen Amnesty-Gruppe, dass man die Menschenrechtsverletzungen in China nicht verhindern könne, „indem man das Land ausgrenzt“.

Diese Ansicht teilt im Grunde auch Amnesty. Sprecher Thilo Clavin ergänzt, dass viele Chinesen, die sich selbst nicht frei äußern dürfen, sogar große Hoffnungen in Delegationen aus demokratischen Staaten setzen. Gerade deshalb aber dürfe der Schwerpunkt des Austausches nicht auf Wirtschaftsbeziehungen liegen, die nur Funktionären und Unternehmern nützen. Die vergangenen 15 Jahren intensiver Wirtschaftsbeziehungen zwischen Deutschland und China, so Clavin, „haben nicht den geringsten demokratischen Wandel zur Folge gehabt“.

Dieser Kritik ist auch Hamburg ausgesetzt, das der größte „China-Standort“ in Europa ist. Rund 700 Hamburger Firmen treiben Handel mit China, fast 400 chinesische Unternehmen sind in Hamburg registriert. Seit 1986 gibt es eine Städtepartnerschaft mit Schanghai, die in diesem Jahr groß gefeiert werden soll. Auch die ist in erster Linie wirtschaftlich geprägt. „Fit for China“ heißt beispielsweise ein Programm, mit dem Hamburger Unternehmen für ihren Sprung auf den chinesischen Markt trainiert werden sollen. Daneben wurde voriges Jahr erstmals in Hamburg der Deutsch-Chinesische Rechtsstaatsdialog organisiert, ein Symposium, das bislang im Wechsel in Berlin und Beijing durchgeführt wurde. Auch dieses behandelte aber überwiegend wirtschafts- und verwaltungsrechtliche Themen. Bei „eher empfindlichen Rechtsgebieten“ hingegen, heißt es im Newsletter des Hamburg-Shanghai Network, gab es bislang nur eine „indirekte Annäherung“ –durch gegenseitige Besuche des Chors der Schanghaier Staatsanwälte sowie der Hamburger Polizei-Gesangsgruppe.

Auch die Hanseatische Rechtsanwaltskammer pflegt eine Partnerschaft zur Anwaltskammer in Schanghai. So hat sie sich jüngst für die Freilassung eines chinesischen Kollegen eingesetzt, der wegen des Vorwurfes der Spionage inhaftiert ist. In erster Linie aber verspricht sich die Rechtsanwaltskammer durch den Austausch deutscher und chinesischer Anwälte „eine stärkere Einbindung in den bestehenden Wirtschaftsverkehr“ zwischen den Partnerstädten, heißt es in ihrem „Kammerreport aktuell“.

Selbst mit der Frage, ob beim Warenaustausch zwischen Hamburg und China rechtsstaatliche Maßstäbe eingehalten werden, hat sich der Senat offenbar noch nicht befasst. Auf eine kleine Anfrage des CDU-Abgeordneten Alexander-Martin Sardina im November hat der Senat eingeräumt, keine Kenntnis darüber zu haben, ob sich auf dem Hamburger Markt Güter befinden, die in China durch Zwangsarbeit produziert worden sind. Hamburg als größter China-Standort in Europa, so Amnesty International, „kommt seiner Verantwortung bei der Durchsetzung von Demokratie nicht nach“. Auch der chinesische Menschenrechtler Harry Wu, der selbst 19 Jahre in China interniert war, kritisierte auf einer Deutschlandreise im März vorigen Jahres: „Der starke Handel mit China bringt Hamburg nicht nur Profit. Er unterstützt auch das kommunistische Regime, das die Bevölkerung unterdrückt.“