Hennen rennen

Die Vogelgrippe-Infektion in Sachsen hat in Deutschlands Geflügelhochburg Niedersachsen einen besonders sensiblen Nerv getroffen. Ämter und Landkreise sind alarmiert – und der Geflügelzüchterverband fordert eine Verlängerung der Stallpflicht

von Klaus Irler

Wahrscheinlich war es das freilaufende Nutzgeflügel, das die Vogelgrippe in die Geflügelfarm im sächsischen Mutzschen eingeschleppt hat. Für die Gänse nämlich gab es eine Ausnahmegenehmigung von der Stallpflicht: Ab und an Frischluft, damit sie Bruteier legen. Draußen, auf Freigang, müssen die Gänse dann wohl von Wildvögeln mit dem Virus H5N1 angesteckt worden sein. Die Gänse wiederum infizierten die Puten. Mittlerweile ist der Hof großflächig abgesperrt und 30.000 Tiere wurden getötet.

Der Vorfall hat einen Nerv getroffen, und zwar einen, der im 300 Kilometer entfernten Hannover besonders sensibel ist. Die Leitungen im dortigen Landwirtschaftsministerium waren gestern dauerbelegt. Denn Niedersachsen ist das Land, in dem die Vogelgrippe am meisten Schaden anrichten könnte: Von den 125 Millionen Stück Wirtschaftsgeflügel, die es bundesweit gibt, leben 72 Millionen in niedersächsischen Ställen.

Zunächst also: Selbstvergewisserung, dass Niedersachsen nicht Sachsen ist. Für den niedersächsischen Geflügelzüchterverband sei die Ausnahmegenehmigung in Sachsen „eine unverantwortliche Maßnahme“ gewesen, so Verbandsvorsitzender Wilhelm Hoffrogge zum NDR. „Wir sehen, was dabei rausgekommen ist. Wir haben immer gesagt, das Geflügel gehört eingestallt und muss auch konsequent im Stall verbleiben.“ Bis zum 30. April gilt die von Bundeslandwirtschaftsminister Seehofer verordnete Stallpflicht. Hoffrogge ist nun dafür, die Stallpflicht zu verlängern. Diese Debatte wird nun erneut beginnen (siehe Interview).

Daneben und dahinter aber gibt es den „Ernstfall“, und für den sei man im Niedersächsischen Landesamt für Verbraucherschutz durch eine „Task Force“ vorbereitet, so Sprecherin Andrea Jark. 15 Experten aus dem Veterinärwesen haben geplant, wer welche Aufnahmen übernehmen würde, von der Absperrung bis zum Keulen der Tiere. Und zwar in Kooperation mit den Landkreisen, wo der Ernstfall nochmal konkreter wird: Verträge mit Unternehmen, die die Tötung der Tiere mit übernehmen würden, habe man bereits geschlossen, so Ansgar Meyer vom Landkreis Cloppenburg.

Ob es Ausnahmegenehmigungen für die Stallpflicht gibt im Landkreis? „Nein“ sagt Meyer. „So was haben wir hier nicht. Die Gänsehalter wollten von sich aus keine haben, dass es nachher nicht heißt: ‚Ihr seid schuld‘, wenn etwas passiert.“ Der Landkreis Cloppenburg ist mit 12 Millionen Tieren eine der Geflügelhochburgen in Niedersachsen.

Absperrung, Desinfektion, Tötung, Entsorgung der Tiere – das beschäftig die Behörden vor Ort. Vorsorglich. Die Geflügelwirtschaft indes bekommt die Vogelgrippe über das Konsumverhalten der Verbraucher längst zu spüren: Bis jetzt habe man deutschlandweit einen Verlust von 150 Millionen Euro erlitten, so ein Sprecher des Zentralverbandes der Deutschen Geflügelwirtschaft. Um 20 Prozent sei der Konsum in Deutschland über den Winter zurückgegangen – ein Ende der Nachfragedelle sei nicht in Sicht. Der Ruf ist ruiniert: Sogar die FIFA hat verfügt, dass es bei der WM in den Stadien keine halben Hähnchen und keine Geflügelbratwurst geben darf. Als „rein vorbeugende Maßnahme“.

Für den Vorsitzenden des niedersächsischen Geflügelwirtschaftsverbands Hoffrogge war diese Maßnahme „grotesk“. Überhaupt wird Hoffrogge nicht müde zu retten, was zu retten ist: Es sei nicht mit Umsatzeinbußen nach dem jüngsten Fall zu rechnen, denn die „Verbraucher wissen, dass der Verzehr vollkommen ungefährlich ist.“ Auch, dass die Vogelgrippe von Sachsen nach Niedersachsen wandern könnte, befürchtet er nicht. Das Landwirtschaftsministerium in Hannover dagegen hat schon mal ausrechnen lassen, was die Vogelgrippe in Niedersachsen kosten würde: Rein finanziell läge der Schaden zwischen 300 Millionen und zwei Milliarden Euro.