Berliner Platten
: Jetzt endlich hat man bei den heimischen Rappern die Berliner Schnauze entdeckt, die Nina Hagen natürlich schon lange hat

Plaetter Pi: „Führt mich zum Schotter“ (Big Bud/Alive)

Der Berliner ist für allerhand berühmt. Kaum genießbare Schrippen (West), den Fernsehturm (Ost) und unfreundliche Taxifahrer (hier wie dort). Am berüchtigsten aber ist der Berliner für die so genannte Berliner Schnauze. Dass mit Bass Sultan Hengzt allerdings erst jetzt der erste Berliner Rapper ein Album nach dem legendären Exportartikel der Stadt benennt, kommt dann doch überraschend. Überraschender jedenfalls als die hier vorliegende Möchtgerngangsta-Ausgabe des fidelen Mundwerks. Der ehemalige Kumpel von Bushido ergeht sich über meist recht steife Beats in den üblichen Allmachtsfantasien, pornografischen Klischees und Beschimpfungen von anderen Rappern, anderen Bezirken und dem anderen Geschlecht. Dabei unterstützen ihn die üblichen Verdächtigen, also Fler und King Orgasmus One, allerdings auch Afrob, den man hier nicht unbedingt vermutet hätte. Aber schließlich sampelt der Neuköllner sogar Die Prinzen und bemüht sich bisweilen um eine sozialarbeiterische Sicht der Dinge: „Hör bitte auf / Lass mich in Ruh / Ich bleibe cool / Schlage nicht sofort zu.“ Die Berliner Härte scheint eh nicht mehr das, was sie mal war: Ein so genannter Verbraucher-Hinweis im Booklet legt nahe, dass man mittlerweile juristische Probleme fürchtet. Dort versichert Sultan Hengzt, dass „die harten Texte nicht immer wörtlich zu nehmen“ sind, sondern „auch der Unterhaltung dienen“ und ihre Ursache im „Wettbewerbscharakter der Jugendkultur“ haben. Stimmt ja, aber fliegt so nicht die Inszenierung auf?

Da muss man Plaetter Pi loben. Der hat solche Absicherungen nicht nötig und kopiert auf „Führt mich zum Schotter“ wieder mal so tapfer eins zu eins die Originale aus dem fernen Amerika, dass das Endergebnis durchaus als Parodie durchgehen kann. Amerika, du hast es besser, aber bei Plaetter Pi sind die Kappen sogar noch größer und die Trainingsanzüge weiter, die Beine sind breiter und die Raps atemloser. Auch musikalisch kopieren Swed und Michael Mic, die die meisten Beats gebaut haben, bisweilen souverän den frühen G-Funk der West Coast. Der Rest sind „dicke Titten“ und „mein Puller“, hat aber durchaus ironischen Abstand. Was ja doch auch ziemlich berlinerisch ist.

Bass Sultan Hengzt: „Berliner Schnauze“ (Amstaff/Soulfood)

Aber wenn es um Berliner Schnauze geht, darf natürlich Nina Hagen nicht fehlen. Die wohnt zwar nicht mehr hier, sondern weilt meistens auf dem Mars, wird aber noch den Bären als ideellen Gesamtberliner überdauern. Von „Irgendwo auf der Welt“ allerdings hat Hagen versucht, das vulgäre Berliner Idiom ebenso zu verbannen wie die sonst von ihr gewohnte Vokalakrobatik. Mit dem Capital Dance Orchestra interpretiert sie Swingstandards wie Frank Sinatras „Serenade In Blue“ oder Ella Fitzgeralds „Day In, Day Out“, aber auch klassische Schlager wie „Roter Mohn“ und „Bei mir bist du schön“. Der Sound der 13-köpfigen Berliner Big Band ist historisch exakt, die gesangliche Leistung von Hagen einwandfrei, aber natürlich kann sie sich nicht verkneifen, hin und wieder doch ein „r“ zu rollen oder stimmliche Grimassen zu schneiden.

Nina Hagen & The Capital Dance Orchestra: „Nirgendwo auf der Welt“ (Universal)

THOMAS WINKLER