Rosenkranz und Punkmusik

Junge, freche und einflussreiche Theaterstücke aus Polen sind bei „Polski Express II“ im Hebbel am Ufer zu sehen

„Ich zerstöre gerne alles und schaue, was danach passiert“

Jan Klata ist 33 und es ist unmöglich, ihn zu übersehen – sowohl als Person als auch als kulturelles Phänomen. Er trägt einen Irokesen-Haarschnitt und eine grüne Militärjacke vom Flohmarkt; ein wenig sieht er aus wie Robert De Niro in Scorseses Film „Taxi Driver“. „Es ist Krieg“, verkündet er in seinem Manifest, „es ist Krieg gegen die Faulheit, Sattheit und Selbstzufriedenheit.“ Klata ist eine der großen Theaterentdeckungen in Polen des vergangenen Jahres.

Przemysław Wojcieszek ist ein Jahr jünger als Klata. Er kümmert sich nicht so sorgfältig um sein Image. Im Gegenteil. „Ich habe mich nie als Rebell gefühlt. Vielleicht wenn ich attraktiver wäre …“, sagt er. Wojcieszeks Stil ist es, den kantigen Selfmademan zu spielen, der Klartext redet: „Ich habe nie ein Studium abgeschlossen. Bei der Aufnahmeprüfung in der Filmschule verlangte man von mir irgendwelche komischen Arbeitsproben, die ich nicht hatte. Ich bin immer direkt von der Straße gekommen und habe gesagt, dass ich einfach gut bin. Die wollten mir aber nie glauben.“

Die beiden jungen Regisseure wurden im vergangenen Jahr mit dem wichtigsten Kulturpreis Polens – dem „Reisepass“ – ausgezeichnet. Die Wochenzeitung Polityka verleiht ihn Künstlern, die sich mit ihrer Arbeit auch außerhalb Polens durchsetzen konnten. Heute wird „Die drei Stigmata des Palmer Eldrich“ (nach Philip K. Dick), das neueste Stück von Jan Klata, im HAU 1 gezeigt. Morgen und am Sonntag spielt das HAU 2 Wojcieszeks „Was immer geschieht. Ich liebe dich“ – ein Stück, das in Warschau das Theaterereignis des vergangenen Herbstes war. Zusätzlich zeigt das HAU 3 am Samstag das Stück „Wałęsa“ der weniger bekannten Paweł Demirski und Michał Zadara, das mit dem Mythos des legendären Solidarność-Führers spielt. Alle Vorstellungen sind auf Polnisch mit deutscher Übertitelung.

Was haben diese polnischen Künstler den deutschen Zuschauern zu sagen? Dass sie zu der Generation der so genannten „jungen Unzufriedenen“ gezählt werden, ist nicht unbedingt besonders interessant für die Berliner Theaterfans – wenn jemand trotzdem Lust auf polnische Generationsdebatten hat, kann er am Symposium am Samstag und Sonntag im HAU 1 teilnehmen. Wichtig ist jedoch etwas anderes, etwas, das sich schon an den Lebenswegen der Regisseure erkennen lässt: Beide mussten für ihren Erfolg hart kämpfen.

Klata kommt aus Warschau und spielte schon als Kind in Krzysztof Kieślowskis Filmen kleine Rollen. Im Alter von zwölf Jahren schrieb er sein erstes Theaterstück. Klata fand erst in der Provinz Anerkennung: In Warschau war er für die Konservativen zu provokativ und für die Linken zu gottorientiert. Wojcieszek wollte immer Filme machen und ist deswegen aus der Provinz nach Warschau gezogen. Sein erstes Jahr in dieser teuersten Stadt Polens überlebte er mit einem kargen Drehbuchstipendium von 150 Euro pro Monat – keine geringe Leistung. Die beiden können erst seit kurzem von ihrer Kunst leben, obwohl sie schon Familie haben. Kompromisse wollten sie nie eingehen – und genau das ist das Thema ihrer Arbeit.

Nihilistisch sind sie aber auch nicht. Gott ist ein Thema. Liebe auch. Wer einen Zynismus à la Houellebecq erwartet, wird enttäuscht. Stattdessen bekommt der Zuschauer eine Mischung aus Rosenkranz und Punkmusik geboten. Große Träume und arme Provinz. Was bedeutet es, homosexuell zu sein? Wie wird man konsumorientiert und bürgerlich, ohne es zu merken? „Ich zerstöre gerne alles und schaue, was danach passiert“, sagt Jan Klata. Die beiden stellen alles in Frage und haben keine Angst vor Tabus. Dabei können auch viele vermeintlich tolerante Deutsche noch etwas über den Umgang mit diesen Themen lernen.

Wer keine Angst hat, sich darauf einzulassen, ist beim Polski-Express-II-Festival gut aufgehoben. Wer sich abends ausruhen muss nach acht Stunden im Büro, der sollte lieber auf der Couch liegen bleiben. Rafał Woś

Polski Express II – Neues Theater in Polen: bis 9. April im HAU 1 bis 3, Programm unter www.hebbel-am-ufer.de