Handgemacht läuft gut

LAUFSCHUHE Weil der Ex-Marathonmeister Ulf Lunge nie zufrieden mit seinen Laufschuhen war, produziert er sie inzwischen einfach selbst. Der Lunge-Schuh ist quietschgrün, kostet stolze 200 Euro und kommt aus einem ehemaligen Kuhstall im Mecklenburgischen

Das Aussehen ist für Ulf Lunge zweitrangig. Ihm kommt es auf Funktionalität, Qualität und Komfort an

VON THOMAS JOERDENS

Ulf Lunge ist ein Romantiker. Der Laufschuhfabrikant spricht von einer Hochzeit, wenn Mittelsohle und Schaft zusammengefügt werden. Die Verbindung der weißen Plastikplatte mit dem grellgrünen Stoffoberteil begleiten jedoch keine Kirchenglocken, sondern das Brummen einer Vakuumpresse, in der die Schuhteile eine Minute lang zusammengedrückt werden. Die Maschinenhochzeiten gehen unsentimental in einer schmucklosen Halle über die Bühne. Klebstoffgestank beißt in der Nase und im Hintergrund sorgt eine Fräse kreischend für Sohlennachschub.

Der schlanke 49-Jährige strahlt bei jedem neuen Paar, als hätte er soeben selbst das Jawort gegeben. Das tat Ulf Lunge in gewisser Weise vor mehr als drei Jahrzehnten. 1979 gründete der Sohn eines Hamburger Weinhändlers sein eigenes Geschäft für Laufartikel. Heute betreiben Ulf Lunge und sein fünf Jahre jüngerer Bruder Lars sechs Läden in Hamburg und Berlin – und seit Herbst 2008 Deutschlands einzige Laufschuhfabrik in Düssin, einem 200-Seelen-Dörfchen im Westen Mecklenburgs.

Die Idee, Laufschuhe herzustellen, kam Ulf Lunge schon um 1983. Damals feierte er als Hamburger Marathon-Meister seinen größten sportlichen Erfolg und stellte ernüchtert fest: „Die Qualität der Schuhe schwankte von Saison zu Saison.“ Der laufende Kaufmann hatte zahlreiche Verbesserungsideen und „über 100 Modelle im Kopf“.

Lunge probierte, wie alle anderen Hersteller von Adidas über Brooks bis Nike, in Fernost produzieren zu lassen. Das Experiment scheiterte. Asiaten betrachten die Sportschuhherstellung hauptsächlich unter dem Kostenaspekt. Danach hatte das Endprodukt mit dem Vorführschuh so viel gemein wie ein Trabi mit einem Porsche. In den 1990er Jahren verhandelten die Lunges mit einem halben Dutzend Schuhproduzenten in Deutschland. Ebenfalls vergeblich.

Als die beiden Lauf-Brüder in Düssin den fast 100 Jahre alten massiven Kuhstall aus rotem Backstein mit der charakteristischen Kuppel auf dem Walmdach entdeckten, wussten sie: „Hier stellen wir die besten Laufschuhe der Welt her.“ Ihr Selbstbewusstsein wurde auf eine harte Probe gestellt. Bevor die Produktion anlief, mussten sie das Baudenkmal sanieren, Leute anstellen, Maschinen anschaffen und einrichten – und, was am längsten dauerte: Laufschuhe entwickeln. „In dieser Zeit hat nichts hingehauen“, erinnert sich Ulf Lunge. Er berichtet von Nähmaschinen, die keine vernünftige Naht hinbekamen. Der Wasserstrahler, der mit 4.000 Bar die Sohlenrohlinge aus großen Platten heraustrennt, machte nicht, was er sollte. Und der Laser schnitt die Stoffteile für die Schäfte nicht korrekt.

Die Herstellung der ersten 400 Paar für eine Vorserie zog sich über mehrere Monate hin, und Ulfs kleiner Bruder wollte die Brocken schon hinwerfen. Nach dieser zähen Aufwärmphase fand die Lunge-Fabrik ihren Rhythmus. 2009 lag die Jahresproduktion bei 4.000 Paaren. Die Angestellten verpacken derzeit pro Schicht 20 frische Paare in grüne Schuhkartons. Diese gehen an 70 zumeist deutsche Einzelhändler – das sind doppelt so viele wie 2009. Verdoppeln will Ulf Lunge auch die Verkaufszahl: Dieses Jahr will er 5.000 Paare unters Volk bringen. Dafür wurde die Laufschuh-Palette erweitert. Seit März kommt aus Düssin auch der Walking-Schuh Adagio. Neben dem gewöhnungsbedürftigen Grün gibt’s die Treter auch in Grau und Schwarz. Sowohl die jüngste Kreation als auch die Laufschuhe wirken in punkto Design schlicht, fast altbacken.

Das Aussehen sei zweitrangig, sagt Ulf Lunge. Ihm komme es auf Funktionalität, Qualität und Komfort an. Die Mittelsohle federt dynamisch, der Schuh rollt ab anstatt zu patschen, er ist atmungsaktiv und sitze „wie ein Traum“, meint sein Schöpfer.

Das Sportgerät entsteht überwiegend in Handarbeit. Deshalb benötigen die Düssiner viereinhalb Stunden für zwei Schuhe. Chinesische Arbeiter schaffen in derselben Zeit zwei Paar und sitzen dann schon am dritten.

Trotz des Anfangserfolgs ist die Fabrik kein Selbstläufer. Ulf Lunge kämpft täglich mit neuen Problemen. Er würde gern mehr Modelle anbieten, um auch jene Sportler zu gewinnen, deren Füße in den aktuellen Lunge-Schuhen unrund laufen. Ideen habe er genug. „Aber die Entwicklung ist echt schwierig“, sagt er. Der Adagio sollte nach drei Monaten in die Produktion gehen. Bis der Schuh nicht mehr drückte, dauerte es ein Jahr. Für den Herbst ist ein leichter Wettkampfschuh in Planung. Der studierte Ökonom weiß, dass es zwei Jahre braucht, bis sich ein Schuh am Markt durchgesetzt hat.

Der hohe Verkaufspreis macht Lunge keine Sorgen: „Dafür, dass wir die besten Materialien verwenden, sind 200 Euro spottbillig.“ Das muss sich unter Läufern noch herumsprechen.