Präsidentin Rousseff zu Obama: So nicht!

BRASILIEN Aus Ärger über die NSA-Überwachung sagt die Staatschefin ihren geplanten USA-Besuch vorerst ab

■ Eine Gruppe von SchriftstellerInnen um Juli Zeh hat mit einem „Marsch aufs Kanzleramt“ gegen den Umgang der Bundesregierung mit der NSA-Spähaffäre protestiert. Vier Tage vor der Bundestagswahl demonstrierten die Autoren am Mittwoch mit symbolischen Unterschriftenkisten vor dem Amtssitz. Anschließend trugen sie im Chor einen offenen Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) vor, den fast 70.000 Unterstützer unterzeichnet haben.

■ In dem Brief heißt es, der „gläserne Mensch“ sei endgültig Wirklichkeit geworden. Merkel solle „die volle Wahrheit über die Spähangriffe“ sagen. „Wir wollen Aufmerksamkeit auf das Thema lenken“, sagte Zeh, die der Regierung vorgeworfen hatte, zu mauern. Sie schlug einen Runden Tisch zur Überwachungsproblematik vor. Die Bundesregierung müsse die Verantwortung für das Thema annehmen. (dpa)

AUS RIO DE JANEIRO ANDREAS BEHN

Die Beziehungen zwischen Brasilien und den USA sind auf einem Tiefpunkt angelangt. Anlass der Verstimmung ist das Ausspionieren des größtes Staats Lateinamerikas durch die US-Geheimdienstbehörde NSA. Jetzt hat Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff ihren für Oktober geplanten Staatsbesuch in Washington verschoben.

Als Grund nannte Rousseff fehlende Aufklärung und die mangelnde Zusage der USA, Gespräche und Internetverbindungen künftig nicht mehr zu überwachen. Die NSA-Ausspähungen seien ein „Angriff auf die nationale Souveränität und die individuellen Rechte, inkompatibel mit dem demokratischen Zusammenleben zwischen befreundeten Ländern“, hieß es in einer am Dienstag veröffentlichten Erklärung der Präsidentin.

Am Vorabend hatten beide Staatsoberhäupter zwanzig Minuten miteinander telefoniert – und sich offenbar nicht einigen können. Man habe den Besuch daher verschoben. Ein neuer Termin stehe noch nicht fest.

Anfang Juli hatte die Zeitung O Globo von der Überwachung Brasiliens durch die NSA berichtet. Sie stützte sich auf Dokumente des ehemaligen Geheimdienstlers Edward Snowden, der nach seinen aufsehenerregenden Enthüllungen in Russland Asyl suchte. Diesen Informationen zufolge hatte die NSA mindestens bis 2002 eine Schaltzentrale in der Hauptstadt Brasília unterhalten und die brasilianische Botschaft in Washington sowie die brasilianische UN-Mission in New York überwacht.

Brasilien reagierte empört auf die Enthüllung, Washington wiegelte ab: Es handele sich lediglich um Sicherheitsvorkehrungen im Antiterrorkampf, beteuerte US-Botschafter Thomas Shannon. In keinem Fall sei innerbrasilianische Kommunikation abgehört worden. Doch wenig später veröffentlichte der Journalist Glen Greenwald, der für den britischen Guardian in Rio de Janeiro arbeitet, weitere Snowden-Dokumente, die das Gegenteil belegten: Die NSA habe auch der staatlichen Erdölkonzern Petrobras und die Kommunikation von Rousseff mit ihren engsten Mitarbeitern überwacht. Die Präsidentin warf den USA daraufhin Wirtschaftsspionage vor und forderte innerhalb kurzer Frist eine lückenlose Aufklärung über die Aktivitäten des NSA auf brasilianischem Boden.

Brasilien als Führungsmacht Südamerikas hat den USA in Wirtschaftsfragen wie auch im internationalen Krisenmanagement in der vergangenen zehn Jahren mehrfach die Stirn geboten. Nun baut es erneut auf regionale Kooperation. Mit dem Nachbarland Argentinien wurde bereits vereinbart, Maßnahmen zur Sicherung der Cyberkommunikation zu ergreifen. Auch sollen internationale Internetfirmen gezwungen werden, sich in Sachen Datenschutz den lokalen Gesetzen zu unterwerfen.

Obama sprach sich inzwischen dafür aus, möglichst bald ein neues Datum für einen Besuch zu finden.

Bei der Opposition stieß das Vorgehen Rousseffs auf Kritik. Die Rechte bezeichnete die Absage als Wahlkampfmanöver und sprach von einer Gefahr für die bilateralen Beziehungen. Der Grünen-Abgeordnete Alfredo Sirkis sagte, es wäre geschickter gewesen, sich mit anderen Ländern wie Deutschland oder Frankreich abzustimmen, um die USA zu einem Kurswechsel in der Auslandsüberwachung zu bewegen.