Leser demonstrieren gegen Zeitung

„Ver.di protestiert gegen Streikberichte“, titelt die altehrwürdige Hannoversche Allgemeine Zeitung in eigener Sache. Der Vorwurf: Das Blatt habe arbeitgeberfreundlich über den Tarifstreit im öffentlichen Dienst berichtet

Der Kunde ist König, und deshalb haben Firmen aller Art wahrscheinlich weltweit Scherereien mit ihren minder zufriedenen Adelshäusern. Ein bisweilen an Hassliebe grenzendes Verhältnis pflegen Leser rituell mit ihrer Zeitung. Papier ist schließlich geduldig, die Zeitung voller Druckfehler und Flachheiten. Ungewöhnlich ist es dennoch, wenn Leser nicht nur Leserbriefe schreiben, sondern auf die Straße gehen: „Ver.di protestiert gegen Streikberichte“, titelte die altehrwürdige Hannoversche Allgemeine Zeitung (HAZ) und vermeldete anschließend, dass sich je nach Zählart am Mittwoch zwischen 350 und 550 Protestler vor dem Madsack-Verlagsgebäude in Hannover versammelt hatten, zu dem die Hannoversche Allgemeine gehört.

Landesbedienstete aus Straßenbauverwaltung, Universität oder Statistischem Landesamt klagten vor dem Verlagshaus „eine faire und objektive Berichterstattung in Hannover über den Arbeitskampf im öffentlichen Dienst“ ein. Die Streikenden beschwerten sich über eine „einseitige und tendenziöse Berichterstattung“, heißt es auf einem Flugblatt, ihre „wahren Streikziele und Forderungen“ würden in „den Medien“ „totgeschwiegen“, stand auf Transparenten. Man habe sich gegen die „Kriminalisierung der Streikenden“ gewehrt, sagt die ver.di-Sekretärin Katja Wingelewski, die die Demonstration organisiert hatte. „Nichts gegen die Pressefreiheit“, aber wegen der Berichte hätten viele Protestler ihre HAZ-Abos gekündigt.

„Selbst Leserbriefe wurden nur ‚kontrolliert‘ abgedruckt“, erbost sich Frank Jaeschke von der Streikleitung der Medizinischen Hochschule. Während über den Streik der Klinikärzte wohlwollend berichtet worden sei, habe die Hannoversche Allgemeine den ver.di-Ausstand der kleinen Angestellten runtergeschrieben. „Ver.di-Funktionäre hätten wichtige Operationen abgelehnt, dann wurden sogar Patientennamen genannt, deren Operationen wegen des Streiks verschoben worden seien“, sagt Jaeschke. „Wahr ist, dass jeder Chefarzt jederzeit die Möglichkeit hat, im Notfall Kontakt mit der Streikleitung aufzunehmen. Kein Patient ist streikbedingt zu Schaden gekommen.“

Von der Madsack-Geschäftsführung ist zum Leserprotest keine Stellungnahme zu erhalten. Stattdessen verweist man auf den eigenen Artikel zum Thema. Darin hatte der Vorsitzende der Geschäftsführung, Friedhelm Haak „gelassen“ auf die Demonstration reagiert. Die HAZ habe in rund 250 Artikeln über den Streik berichtet, „zahlreiche Facetten“ seien dargestellt worden: „Die Haltung einer Zeitung“ werde „von Chefredaktion und Verleger festgelegt – und nicht von außen“, lässt sich Haak zitieren. In der ebenfalls zu Madsack gehörenden Neuen Presse erschien ein ähnlicher Text, dabei hatten die Protestler bloß das Schwesterblatt auf dem Kieker gehabt.

„Eine einseitige Berichterstattung kann ich bei der HAZ nicht erkennen“, sagt Frank Rieger, Vorsitzender des Deutschen Journalistenverbandes (DJV) in Niedersachsen. Wenn den Verdianern die Berichterstattung nicht passe, müssten sie eine andere Zeitung lesen.

Bloß welche, fragen sich die ver.di-Leute. Die 14 Madsack-Zeitungen in Niedersachsen, Sachsen und Hessen haben nach eigenen Angaben eine Auflage von täglich fast 680.000 Stück. In vielen Regionen sind die Madsack-Blätter quasi konkurrenzlos, auch in Hannover. „Fast schon witzig“ findet es DJV-Mann Rieger, dass die Verdianer gegen eine Zeitung protestierten, die zum Teil der SPD gehört. Deren Medienholding hält etwa 20 Prozent an dem Verlag, der zur Zeit als neuer Anteilseigner der besonders gewerkschaftsnahen Frankfurter Rundschau im Gespräch ist. Kai Schöneberg