Im Wirbel der Zeichen

Steckt euch Authentizität sonstwo hin. Was im Pop zählt, sind Oberflächen. The Knife, die schwedische Band der Stunde, badete darin geradezu in der Maria im Ostbahnhof. Ach ja, gesungen wurde auch

VON ANDREAS HARTMANN

Das, was man Visuals nennt, also im Normalfall nervtötendes Geflimmer und Geflacker, auf Leinwand projiziertes Bildergulasch, ist der eigentliche Star beim Konzert der schwedischen Sensationsband der Stunde, The Knife. Von Beginn an ist klar, dass es neben der Musik um die Optik gehen wird. Sie ist die Show, das Geschwisterpaar Olof und Karin Dreijer, das mit ihrer neuen Platte „Silent Shout“ den Hype der Stunde abgeliefert hat, löst sich auf der Bühne beinahe vollständig in einem Meer aus Farben auf. Die beiden wollen das so.

Es geht um Künstlichkeit und die reine Oberfläche. Die Musik von The Knife ist Plastikpop und die Stimme von Karin Dreijer erklingt niemals als sie selbst, sondern wird von tausend Effekten verfremdet. Wir sind die Roboter. Kraftwerk haben Puppen auf die Bühne gestellt, Menschmaschinen, The Knife agieren selbst wie Puppen.

Beide tragen Masken und schwarze Ganzkörperanzüge, worin sie aussehen wie Fetischsklaven. Gelegentlich überkommt einen das Gefühl, man habe sich im Kit Kat Club verirrt.

Olof Dreijer macht nichts anderes, als stoisch und im Stehen auf ein Drumpad einzuklopfen; wenn er mal ein paar Takte aussetzt, ändert das am Sound auch nichts. Sie singt. Der Rest passiert so, kommt vom Band, alles klingt perfekt und genau, wie man es von ihrer Platte kennt.

The Knife sind das Gegenteil von Rockagitation, sie wollen ihre Körper gar nicht in Bewegung setzen. Sie sind Teil einer Multimedia-Show, die auch ohne sie prima funktionieren würde. Zwischen den Maskenträgern und dem Publikum wurde ein durchsichtiger Vorhang gespannt, auf den pausenlos Bilder des Hausregisseurs der Band, Andreas Nilsson, projiziert werden. Hinter dem Rücken der Band werden nochmals völlig andere Visuals abgespult. Bilder aus Computerspielen, Comic-Grafiken, Laserprojektionen. Je undurchschaubarer geschichtet, desto besser. Der Vorhang verstärkt die Distanz. Die Geschwister sind keine Stars zum Anfassen, sie suchen den Kontakt zum Publikum gar nicht, launige Ansagen sollte niemand von ihnen erwarten. Es wird einfach das Programm abgespult und die Menge in der Maria am Ostbahnhof sich selbst überlassen.

Man könnte nun sagen, The Knife sind wirklich das Allerletzte. Scharlatane, die popkulturelle Asservatenkammern plündern, als sei dies eine sportliche Disziplin. Alles ist geklaut, ausgestelltes Zitat, ein Wirrwarr aus Zeichen und Codes. Die Maskennummer kennt man von Daft Punk, die Stimme von Karin Dreijer erinnert an Björk und Kate Bush, der ganze barocke Düsterkitsch der Show an das „Phantom der Oper“. Die Musik klingt nach den immer noch schwer angesagten Achtzigern. Wo die Geschwister diesen oder jenen Basslauf und die immer wieder auftauchenden Trance-Fanfaren geklaut haben, möchte man lieber gar nicht wissen.

Doch wer The Knife als zu perfekt kalkulierende Effekthascherl abtut, hat von Popmusik nichts verstanden. Dem Ehrlichkeitswahn, der in der Rockmusik immer noch grassiert, erteilt diese Band eine dezidierte Absage, allein dafür muss man ihr schon dankbar sein. Pop kommt nicht von Können, sondern von Machen, auch so eine goldene Regel, die hier perfekt umgesetzt wird. Und, klar: Alles, was zählt, was Pop wirklich ausmacht, ist allein die Oberfläche. Dass mit den Masken, hinter denen nicht mehr klar definiert werden kann, wann es sich um eine Frau, wann um einen Mann handelt, auch noch geschickt mit Geschlechterzuschreibungen gespielt wird, dies gibt es noch gratis obendrauf.

Erstaunlich ist dennoch, wie sehr dieser Künstlichkeitswahn von The Knife einen Nerv getroffen zu haben scheint. In ihrer Heimat Schweden sind die beiden Superstars, England dreht durch und die Maria am Ostbahnhof war schon Wochen vor dem Konzert ausverkauft. Die Band animiert zu nichts, ruft niemanden zum Händeklatschen auf und dennoch herrscht eine Atmosphäre wie auf der Mayday. Bassdrum-Figuren werden bejubelt, Arme kollektiv in die Höhe gestreckt. Ein Konzertbesucher bestellt sich an der Bar ein Bier und trägt eine Darth-Vader-Maske. The Knife scheinen kurz davor zu stehen, ein neuer Kult, eine Art Religion zu werden. Künstlichkeit is the new loud.