Wie bei der Vogelgrippe

Aufschrei über Neuköllner Verhältnis – das sind die Panikmacher. Symposien über Integration – dort reden die Virologen. Eine Tagung der Grünen berät die Frage: „Jung, männlich, Migrant = Verlierer?“

VON SASCHA TEGTMEIER

Mit der Integrationsdebatte nach dem Hilfeschrei der Neuköllner Rütli-Hauptschule ist es wie mit der Vogelgrippe. Die machen Panik, die anderen ziehen sich in Fachdiskussionen zurück.

Die integrationspolitischen Lautsprecher à la Stoiber, Pflüger und Koch hauen reflexartig auf die angebliche „Multikulti-Romantik“ drauf und fordern ein hartes Durchgreifen: Achtung Pandemie, Stallpflicht, Keulen! Die anderen trafen sich gestern auf Einladung der Grünen zu der Fachtagung „Jung, männlich, Migrant = Verlierer?“.

Was die bedächtigen Virologen für die Vogelgrippe sind, war diese ganztägige Veranstaltung für die Integrationsdebatte: Auf akademischem Niveau und mit viel Einfühlungsvermögen wurde der Integrationsdiskurs und der Diskurs über den Diskurs beleuchtet.

Das ist gut und löblich, aber wie es konkret mit dem gefühlten Scherbenhaufen einer verfehlten Migrantionspolitik weitergehen soll, bleibt undeutlich. Rütli – und was nun? Das möchte man doch genauso wissen, wie: Darf ich noch Eier essen?

So einfach ist es im Fall von Integrationsproblemen und Gewalt an Hauptschulen – stets in einem Atemzug genannt – natürlich nicht. So verwundert es nicht, dass die Grünen und ihre Experten gestern zu einem Ergebnis kamen, dass man das Gegenteil von Aktionismus nennen kann: Man müsse sich stärker den Problemen jugendlicher Migranten annehmen, hieß es unisono und wolkig. Gerade die männlichen Migrantenkids bräuchten positive Vorbilder – Menschen, vor denen sie auch ohne Machogehabe und Gettosprache Respekt haben.

Es verwundert auch nicht, dass die Fernsehkameras und Reporter nicht im Katholischen Tageszentrum in Berlins Mitte stehen, um Claudia Roths Warnung vor „gefährlicher Stimmungsmache“ aufzunehmen. Sie lauern darauf, dass an irgendeiner deutschen Hauptschule Steine fliegen und Totschläger klackern – und wenn die Reporter den so genannten Terrorkids dafür einen Fünfziger anbieten müssen. Eine Fachtagung dagegen lässt sich genauso schlecht medial inszenieren, wie der chemische Aufbau eines Virus. Ebenso wichtig kann sie für Problemlösungen trotzdem sein.

Nicht nur den auf die Oppositionsbank abgeschobenen Grünen nützt eine solche Tagung, um eine Marke in ihrem Kompetenzbereich setzen zu können. Eine differenzierte Diskussion ist auch erforderlich für die Lösung der Probleme, die durch die Rütli-Schule ins Bewusstsein gekommen sind. Denn von den Panikmachern werden nun schnell soziale und Integrationsprobleme gleichgesetzt. Eins zu eins. „Doppelbödig und rassistisch“ nennt der Menschenrechtler Heiner Bielefeldt daher die Diskussion um die Rütli-Schule. Er hat Recht. Die Ausländer, die eigentlich schon längst keine Ausländer mehr sind, sind die Bösen. Integration wird nur noch als Anpassungsbereitschaft der Einwanderer missverstanden.

Auch Sanem Kleff vom Verein „Schule ohne Rassismus“ hat Recht, die Probleme im Bildungssystem zu suchen, das leistungsschwache Schüler auf die Hauptschule abschiebt. Und auch der Autor Ahmet Toprak hat Recht, wenn er sagt, dem jungen Migranten müsse Selbstvertrauen vermittelt werden.

Die Frage ist bei allen theoretischen Debatten: Wie sehen die Lösungen aus? Die integrationspolitischen Virologen können keine Patentrezepte liefern. Trotzdem lohnt es sich, ihnen zuzuhören. Die Virologen liefern die Lösungen vielleicht irgendwann, die Panikmacher nie.