„Es geht um Befreiung von Überfluss, nicht um Verzicht“

UNTER STROM Die Parteien überbieten sich im Wahlkampf mit Populismus, ärgert sich Niko Paech

■ Der 52-jährige Volkswirtschaftler widmet sich als Gastprofessor am Lehrstuhl Produktion und Umwelt der Uni Oldenburg den Themen Umweltökonomie, Nachhaltigkeit und Postwachstum.

taz: Herr Paech, kann man Energiewende auch falsch machen?

Niko Paech: Man kann sie nicht nur falsch machen, man macht sie in Deutschland falsch. Was wir hier Energiewende nennen ist der Gipfel des Populismus.

Warum das denn?

Alle im Bundestag vertretenen Parteien überbieten sich im Wahlkampf darin, den Bürgerinnen und Bürgern etwas Falsches zu versprechen: Wir steigen aus der Atomenergie aus, schützen das Klima und das alles ohne höhere Strompreise. Das ist unmöglich. Der Preis für Elektrizität muss steigen, um die Verschwendung von Energie zu stoppen.

Aber erklären sie das mal einer fünfköpfigen Familie am Existenzminimum!

Eine Sozialpolitik, die auf dem Rücken der Ökosphäre ausgetragen wird – wohlgemerkt auf einem stetig höheren materiellen Niveau, gerade in Deutschland –, widerlegt sich selbst. Was wir für Mobilität oder Strom zahlen, spiegelt nicht die Kosten wider, die dadurch ökologisch und ökonomisch entstehen. Abgesehen davon, dass es kein Menschenrecht auf Stromverschwendung und Flugreisen gibt: Glauben Sie, die fünfköpfige Familie kann keine Energie sparen? Die unbequeme Wahrheiten lautet: Energiewende heißt Lebensstilwende. Einkommensschwache Familien können auch anders als durch Öko-Dumping unterstützt werden.

Eine Art grüne Zwangsökonomie des Verzichts?

Es geht nicht um Verzicht, sondern um die Befreiung von jenem Überfluss, der nur zu Konsumverstopfung, Reizüberflutung und Zeitknappheit führt. Wenn wir das verstehen, wird Sparsamkeit einfacher. Und die brauchen wir, denn die Erneuerbaren lösen die meisten Probleme nicht: Was ist mit dem Flugverkehr, Individualverkehr, Güterverkehr, Schiffsverkehr, der Heizenergie in Wohngebäuden, der fossilen Energie der Landwirtschaft und der Produktion unserer Güter in China? Von der gesamten Energie, die wir verbrauchen, stammen nur lächerliche 11 Prozent aus erneuerbaren Quellen. Das kratzt an diesen Problemen nicht mal. Trotzdem haben wir aber schon jetzt viel Fläche und Landschaften zerstört, etwa durch Energiemais und Windkraft- und Photovoltaikanlagen auf freien Flächen.

Wie soll Energiewende ohne diese Alternative gehen?

Wir brauchen ein Boden- und Landschaftsmoratorium, so dass keine Fläche mehr verbaut wird. Solaranlagen gehören auf Hausdächer, Windkraftanlagen können auf stillgelegten Autobahnen, Flughäfen, Parkplätzen oder Industrieflächen errichtet werden. Nur was sich innerhalb dieses Rahmens an Wohlstand herstellen lässt, ist nachhaltig. Importierte Handys und Fernseher aus Indien und China stammen aus schmutziger Produktion …

wie wollen Sie das denn ändern? Durch Öko-Zölle?

Wir müssen bilanzieren, wie viel CO2 in welchem Produkt steckt. Das ist nicht schwierig und führt übrigens oft zu interessanten Ergebnissen. Mit einem Australien-Urlaub blasen Sie zum Beispiel über 12 Tonnen CO2 in die Luft: Wie lange müssten Sie Kohlestrom von RWE beziehen, um auf diesen Wert zu kommen? Statt den Verkehr zu verteuern verausgaben wir uns im Stromsektor, zerstören Landschaften und erreichen nichts: 2012 sind die CO2-Emissionen in Deutschland gestiegen.

Wen wählen Sie denn mit Ihren radikalen ökologischen Vorstellungen?

Ich gebe hier keine Empfehlungen ab. Nichtwählen ist für mich aber keine Option. Wir brauchen eine politische Kraft, die sich gegen Wirtschaftswachstum ausspricht und den Rückbau ökologisch ruinöser Strukturen anstrebt. INTERVIEW: INGO ARZT