Keine Chance für Doc Sudau (1)

Der Wahrheit-Fahrrad-Western: Auf der Suche nach einem verdammten Sattelstrolch

In weiten Teilen des Landes stand das Gesetz auf wackligen Füßen

Die Sonne versank als rot glühender Feuerball hinter dem Horizont. Die Natur begab sich zur Ruhe. Die hatte sie auch dringend nötig nach der Frühlingshitze, die den Boden schon seit Wochen verschonte und nahezu alles in diesem Landstrich zum Aufkeimen brachte.

Ich hatte Wüstenbärlauch gesammelt. Aber, verdammt, dabei war mir das Fahrrad gestohlen worden. Mein treuer Schwarzer Blitz! „Wenn Sie mich fragen, Mister, dann kann Ihr Rad nur einer haben: Sudau. Doc Sudau“, presste eine klapprige Gestalt mit brüchiger Stimme hervor. „Er treibt hier mit zwei weiteren Taugenichtsen sein Unwesen als Fahrraddieb und verhökert die Dinger an die Rothäute. Er haust mit seiner Lady auf der etwas anderen Ranch, Friedrich-Ebert-Straße, drei verdammte Meilen von hier Richtung Norden.“ In weiten Teilen des Landes stand das Gesetz auf wackligen Füßen, nicht so in Gössweinstein. Hastig stapfte ich in die Stadt.

Ein Tandem kam die Straße entlang. Ein Stück weiter zog ein Mann sein Liegerad aus einer Einfahrt. Einige Hunde dösten im Schatten. Das war Gössweinstein, ein friedliches Nest, 25 Meilen östlich von Bamberg. Unter meinen Sohlen mahlte der feine Sand. Der Weg führte mich geradewegs zu Sheriff Schwinkowsky.

„Sheriff, Doc Sudau, dieses räudige Stinktier, hat mein Rad geklaut. Den Schwarzen Blitz, ein reinrassiges Achtundzwanziger-Trekking-Rad, 24 Gänge, Shimano-Felgenbremsen. Diesem verdammten Sattelstrolch muss das Handwerk gelegt werden“, presste ich aufgebracht hervor. „Das genau wird Ihr Job sein, Mister, weil ich nämlich heute Weiterbildung habe. Ich ernenne Sie hiermit zum Deputy und leihe Ihnen mein Achtundzwanziger Dienstrad. Zwar nur 18 Gänge, aber … nichts für ungut. Zur Verstärkung gebe ich Ihnen Deputy Joe auf seinem Hollandrad mit“, versetzte Sheriff Schwinkowsky. Einen Lidschlag später waren wir entlassen.

„Wo setzen wir an, Mister?“, stieß Joe krächzend hervor. „Wir haben so gut wie mehrere Anhaltspunkte. Wir wissen, wie Sudau heißt, welches Rad er geklaut hat und mit wem er zusammenwohnt.“ Hart traten die Wangenknochen aus seinem Gesicht. „Das ist eine Sache zwischen ihm und mir. Und dir“, versetzte ich. „Schnappen wir uns diesen dreckigen Bastard. Wir haben nichts zu verlieren als unsere Fahrradketten.“ Meile um Meile schmolz unter den Reifen unserer Räder. Am Himmel funkelten unzählige Sterne. Der Mond hing wie eine Sichel über den Hügeln im Südosten.

„Verdammt, es ist, als hätte den Burschen die Erde verschluckt“, stieß ich gepresst hervor. „Übrigens, Joe, dein Schutzblech klappert.“ Joe blickte mich fragend an. „Dein Schutzblech klappert“ – „Sorry?“ – „Dein Schutz-blech klap-pert!“, presste ich stakkatohaft hervor. „Verstehe kein Wort, Mister, mein Schutzblech klappert so“, versetzte er und bremste scharf.

„Teufel auch, die Sache stinkt gewaltig!“ – „Ja, es ist wie die Suche nach der Nadel im Heuhaufen“, fluchte ich, während ich mir den Staub vom Stetson klopfte. „Es gibt da noch eine Sache, die gewaltig stinkt, Joe.“ – „Sorry, Mister, die Bohnen von heute Mittag. Übrigens: Kennen Sie den? Warum kann ein Elefant nicht Rad fahren? Weil er keinen Daumen zum Klingeln hat. Bruhaha, gut, nicht?“ – „Ja, bruhaha, verdammt, nicht von schlechten Eltern.“

Vor meinem Blick lag die Nanu-Nana-Senke. Die Luft flimmerte. Die Hitze war unerträglich. In dieser weitläufigen Ebene, die berüchtigt war für ihren erbarmungslosen Gegenwind, sah ich die Gebäude einer kleinen Ranch. Sudaus etwas andere Ranch – ein Traum aus Stahl, Glas und Knäckebrot. Lady Sudau, die wie zur Salzsäule erstarrt dastand, repetierte ihre Winchester. „Verdammt geschickt für ein Weibsbild“, stieß ich anerkennend durch die Zähne. Ihr Blick ruhte auf uns. Dann kam sie näher. Goldblonde Haare rahmten ein schmales, gebräuntes Gesicht ein, das von zwei tiefblauen Augen beherrscht wurde. Ihr Kinn war fraulich rund, ihr Mund schön geschwungen. Wie zwei Halbmonde standen die Brauen über ihren Augen. Verdammt, nie im Leben hatte Sudau diese attraktive Evastochter verdient! Es war so sicher wie das Amen in der Kirche, dass sie ihn vielleicht nicht verraten würde. „Hören Sie, Ma’m, wir suchen Ihren Mann. Doc Sudau hat mein Fahrrad geklaut! Sie wissen nicht zufällig, wo …?“ – „Das ist eine dreckige Lüge! Sie handeln sich höchstens heißes Blei ein, Mister“, versetzte sie wütend. „Und ich back’ Ihnen ’nen Pflaumenkuchen mit Reißverschluss.“ Ihre Augen blickten kalt wie Gletschereis. „Vorsicht, Lady, das Ding könnte geladen sein“, stieß Joe scherzhaft hervor.

Die Blicke, die sie Joe zuschoss, waren eine böse Verheißung. „Doc Sudau ist ein Ehrenmann, er würde so etwas niemals tun.“ Sie spielte die Unschuld vom Lande. „Und meine Oma hat ’nen Nachttopf mit Beleuchtung!“, stieß ich sarkastisch hervor, während sie mit der Winchester vor meinen Augen fuchtelte.

Einen Lidschlag später packte ich sie an den Handgelenken, nahm sie in den Schwitzkasten. „Ich wiederhole mich nicht gern, Ma’m“, presste ich drohend hervor. „Dazu haben Sie kein Recht! Sie machen einen riesengroßen Fehler“, versetzte sie keuchend. „Mag sein. Aber Fehler sind nun einmal da, um gemacht zu werden. Ich zähle jetzt bis eins“, gab ich zurück, während Joe nervös an seinem Schießeisen nestelte. Ich wusste aus Erfahrung, dass der erste Eindruck manchmal verdammt täuschen konnte. „Warum decken Sie diesen Schurken, Ma’m?“, stieß ich fragend hervor und blickte die Lady bittend an, vielleicht etwas zu bittend … „Warten Sie, Gentlemen …“, wobei mich ihre tiefblauen Augen mit einem glühenden Blick bedachten, der mir wie Feuer unter die Gänsehaut ging …

MICHAEL RUDOLF

Fortsetzung morgen