: Konzept Lebenslüge
Armin Petras destilliert für sein „Deutschlandprojekt“ aus zwei Romanen Christoph Heins in Leipzig und Frankfurt eine Revue und ein Kammerspiel
VON KRISTIN BECKER
Hat der Bundesadler ein Herz? Wenn ja, dann hat es ein kleiner gelber Dartspfeil durchbohrt. Es ist ein müder Wurf aus dem Handgelenk, mit dem der ehemalige Schulleiter und pensionierte Beamte Richard Zurek den schwarzen Adler aus Pappe zur Strecke bringt. Der ultimative Abfall vom Glauben, eine schweigsame Proklamation, dass man mit den Werten, für die dieses Symbol steht, nichts mehr anfangen kann und will.
So plakativ wie in dieser Adlerszene wird Armin Petras, der unermüdliche Befrager deutsch-deutscher Befindlichkeiten auf der Bühne, bei seinem neuesten „Deutschlandprojekt“ allerdings selten. Erst in Leipzig, nun in Frankfurt am Main hat er zwei Stücke basierend auf den Romanen „Horns Ende“ und „In seiner frühen Kindheit ein Garten“ von Christoph Hein erarbeitet, die in Frankfurt an einem Abend gegeneinander gestellt werden: Die Frühzeit der DDR trifft auf die Lasten der alten Bundesrepublik – stalinistische Aufbauzeit und die Schatten der RAF sauber getrennt durch eine Pause.
Mit „Horns Ende“ beginnt diese eigenwillige Geschichte. Auf die Hinterbühne des Großen Hauses hat Katrin Frosch einen Bühnenkasten gebaut und unmittelbar daran die Zuschauertribüne: Man sitzt also fast mit im Bühnenbild, bedrückend nah erscheint der enge Raum zwischen gelben Tapeten und einem Panoramafenster, das eine Wald- und Wiesenstimmung vorgaukelt. In diesem Raum steckt der Mikrokosmos einer ganzen Stadt, links hat der Doktor sein Arztzimmer, rechts die Krämersfrau Wohnung und Laden, eine Wand ist das Museum, und in der Mitte residiert der Bürgermeister an einem Kaffeetischchen mit Marx-Kopf und Chefsessel „aus dem Westen“. Dazwischen gibt es hier und da beiläufig abgelegte Zeitzeugen einer östlichen Alltagskultur: Matrjoschkas im Regal, das Neue Deutschland, die f6 im Aschenbecher. Die DDR in den Fünfzigerjahren, ein Kleinstadtleben fast wie in Thornton Wilders „Our Town“, nur dass die Leichen im Keller realsozialistisch faulen.
Christoph Hein erzählt in seinem Roman vom Selbstmord des Historikers Horn, dem im Arbeiter-und-Bauern-Staat sein „kleinbürgerlicher Humanismus“ zum Verhängnis wird. Horn selbst bleibt stumm, während sich verschiedene Figuren erinnern und berichten. Petras inszeniert ein kleinstädtisches Panoptikum gescheiterter Träume, in dem die Fehltritte und Lebenslügen der unterschiedlichen Figuren als groteske Revue zur Popmusik der späten DDR vorbeiziehen. Zur kollektiven Denunziation muss das ganze Ensemble per Unterschrift auf Horns Rücken antreten.
Noch unmittelbarer erfolgt der Einbruch des Politischen ins Private aber im zweiten Teil. In seinem jüngsten Roman „In seiner frühen Kindheit ein Garten“ (2005) hat Christoph Hein die Geschichte um das RAF-Mitglied Wolfgang Grams und dessen Tod 1993 in Bad Kleinen fiktionalisiert und vor allem privatisiert: Der als Terrorist gesuchte Oliver Zurek kommt bei einem Schusswechsel mit der Polizei ums Leben. Seine Familie versucht zu erinnern und zu verstehen. Je unmöglicher aber die Aufklärung des Todesfalls erscheint, desto mehr stellt Richard Zurek, der Vater und zeit seines Lebens treuer Staatsdiener, die eigenen Überzeugungen infrage.
Bei Petras sitzt dieser Zweifler als müder alter Mann (Andreas Leupold) an einem leeren Holztisch. Er wird diesen Platz bis kurz vor Schluss nicht verlassen. Das Bühnenbild ist ausgeleert, die Tapete noch blasser als zuvor. Drähte und Grashalme sprießen aus der Wand, ein Sandhaufen, vielleicht ein Grab, liegt mitten im Raum. Wie die Wohnung bröckeln die Weltbilder und die Gutbürgerlichkeit scheuert sich auf, wenn die Tochter im Sand nach Erinnerungen wühlt.
Petras verdichtet Heins Geschichte zu einem Kammerspiel. Fast vollständig verzichtet er auf seine üblichen Spielereien und erlaubt sich selbst ein schnörkelloses Sprechstück. Wo „Horns Ende“ gelegentlich nur knapp an einer Seifenoper vorbeischrammt, besticht „In seiner frühen Kindheit ein Garten“ durch kühle Präzision und hochkonzentriertes Schauspiel. Herausragend erscheinen neben Leupold auch Friederike Kammer in ihrer stoischen Mütter- und Menschlichkeit und Katrin Grumeth als selbstbezogene, gefühlskalte Tochter, hinter deren Borniertheit sich Verzweiflung versteckt.
Hein beschreibt in seinen Romanen Systemfehler, die Petras nur andeutet. Denn mehr noch als Geschichtsmythen scheint ihn diesmal das Konzept der Lebenslüge zu interessieren, das er mit Ibsen’schem Gestus aus Heins Material destilliert. Die Geografien, ob Ost oder West, sind dabei schlussendlich nebensächliche Bezugspunkte. Unter dem Banner des Politischen ist dieses „Deutschlandprojekt“ eigentlich ein Laborbericht, der das Scheitern beobachtet und egal wo findet. Wenn Geschichte so privat wird, bleibt auch ein Bundesadler – trotz Pfeil im Herzen – nur als totes Kuscheltier zurück.
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