Talentschmiede an der Stange

TISCHFUSSBALL Beim FC St. Pauli ist die erste Kickerschule Deutschlands entstanden. Eine Jugend- und Behindertenliga sind in Planung

AUS HAMBURG JULIAN KÖNIG

Heute spielen wir draußen“, sagt Henning Ramcke. Er hievt einen Tischfußballtisch von einem Rollwagen, klappt die Beine aus und verschwindet kurz darauf wieder im Clubheim des FC St. Pauli.

Hier, unter der Südtribüne des Millerntor-Stadions, ist die erste deutsche Tischfußballschule beheimatet, offiziell heißt sie „Kicker-Academy“. Ramcke hat sie mit ein paar Freunden im September 2009 gegründet und ist seither ihr erster Vorsitzender.

Normalerweise kicken die Spieler der Akademie im Hinterzimmer des Clubheims. Da aber zur selben Zeit eine Vorstandssitzung des Vereins stattfindet, hat Ramcke beschlossen kurzerhand an die frische Luft zu gehen. Jeden Mittwochabend findet hier ein öffentliches Training für alle interessierten Kickerspieler statt.

Mit einem Stapel Bierdeckel in der Hand kommt Ramcke wieder aus dem Clubheim und gleicht mit den Pappscheiben die Unebenheiten im Boden aus, damit der Tisch möglichst gerade steht. „Nirgendwo auf der Welt ist die Dichte an Kickertischen höher als auf dem Hamburger Kiez“, sagt er. Entsprechend passe der Standort für die Akademie auf dem Heiligengeistfeld „wie die Faust aufs Auge“.

Ramcke will das Kickern aus den Kneipen lösen und als einen anerkannten Sport etablieren – ähnlich wie es bereits Dart und Billard geschafft haben. Schon 2004 hatte er einen Kickerverein gegründet, den er nun in die Akademie übergehen ließ. Durch seine Schwester, die für den Hamburger Hochschulsport arbeitete, kam der Geschichtsstudent aus Pinneberg zu einer Art Lehrauftrag und leitete fortan gemeinsam mit Sebastian Silveira, der als Trainer ebenfalls bei der Akademie dabei ist, bis zu sechs Kurse an drei Tagen.

Parallel dazu gründete er einen Verband, um dem Kickern einen offizielleren Charakter zu verleihen. Ramcke hörte von Tischfußballspielern, die im Clubheim des „Hamburg Eimsbüttler Ballspiel Club“ kickerten. Ihm gefiel diese Nähe zum Sport, und so schrieb er gemeinsam mit Auria im April des vergangenen Jahres den FC St. Pauli an. „Wir wollen, dass jeder die Möglichkeit hat, sich zu verbessern“, sagt Ramcke.

Während des freien Spiels erklärt Ramcke Spielzüge. „Wer ein gutes Mittelfeld hat, der muss nicht unbedingt gut im Sturm sein. Es gibt Spieler, die lassen in der Mitte kaum Lücken und gewinnen dadurch jedes Spiel.“ Um diese These zu verdeutlichen, zieht er an der gegnerischen Stange und deutet Passwege an. „Die Chance über die außen den Ball in den Sturm zu passen, sind wesentlich größer, als durch die Mitte“, erklärt er. „Wenn ich das weiß, dann kann ich meinen Sturm ausrichten und habe einen Vorteil bei der weiteren Ballverarbeitung. In der Defensive biete ich entsprechend Lücken an und schließe sie im letzten Moment.“

Später unterbricht Ramcke das Spiel, schnappt sich einen Ball und legt ihn auf den Elfmeterpunkt vor seinem Tor. Es folgt eine kurze Lektion über Bandennutzung beim Kicker. Ziel: Mit nur einem Schuss zum Torerfolg kommen. Ähnlich wie beim Billard nutzt er dafür einfache Mathematik. Einfallwinkel ist gleich Ausfallwinkel. Er trifft den Ball seitlich und schießt ihn so außen am Mittelfeld vorbei gegen die Bande, von dort prallt er Sekundenbruchteile später ins Tor. Derartige Kniffe und Anregungen zum Thema Stellungsspiel gehören zu jedem Training. „Wir bieten etwas, was der Spieler in der Kneipe nicht bekommt“, sagt Ramcke.

Die Akademie umfasst mittlerweile 40 Mitglieder, und die Arbeit wurde auf den Jugend- und Behindertenbereich ausgedehnt. Neben Kooperationen mit einigen Hamburger Schulen steht als nächstes Projekt eine eigene Jugendliga an – in Zusammenarbeit mit Jugendzentren. „Die Zentren haben den nötigen Platz und oftmals auch das Equipment. Wir haben die Trainer“, erklärt Ramcke. Damit sich die Kinder auch untereinander messen können, sollen sie einen eigenen Turnierbetrieb mit Ranglisten bekommen.

Ein ähnliches Projekt soll auch für Menschen mit Behinderung starten. Eine Bochumer Tischlerei hat einen behindertengerechten Kickertisch entworfen und ihn der Akademie gestiftet. „An diesen Tischen ist es unerheblich, ob du im Rollstuhl sitzt oder davor stehst“, sagt Ramcke. In den meisten Kneipen fehlten solche Tische. An diesem Tag ist allerdings kein Rollifahrer zum Training erschienen.

Das Klackern des Balls ist durch das gesamte Clubheim zu hören. Das Training kann auch schon mal bis zum Zapfenstreich dauern. Ramcke und Auria gewinnen ihr Doppel mit 6:0. „Wären wir jetzt in einer Kneipe, dann müssten wir Kurze ausgeben“, sagt einer aus dem unterlegenen Team. In der Akademie bekommt man stattdessen Tipps, wie es beim nächsten Mal besser laufen kann.