Revier erleuchtet Europa

Die Europäische Union kürt das Ruhrgebiet zur europäischen Kulturhauptstadt. „Das multikulturelle Engagement hat uns überzeugt“. In den Städten fließt der Schampus, heute werden Pöstchen verteilt

aus BRÜSSELBORIS R. ROSENKRANZ

Der Plan ist aufgegangen: Görlitz ist raus, Essen ist Kulturhauptstadt Europas 2010. Das gab eine von der Europäischen Union eingesetzte Jury gestern in Brüssel bekannt. Eine knappe Entscheidung: „Es war schon für Deutschland schwierig, sich festzulegen – für uns auch“, sagte der Vorsitzende der Jury, Sir Jeremy Isaacs. Das Ruhrgebiet sei jedoch um Haaresbreite besser gewesen.

Mit dem Votum der Jury endet ein zäher, mithin hoch bürokratischer Bewerbungsmarathon, in den Essen als Außenseiter gestartet war. Vor zwei Jahren setzte sich die Ruhrmetropole als Bannerträger für das ganze Revier zunächst auf Landesebene durch. Und stach überraschend die Städte Köln und Münster aus. Insgesamt zehn deutsche Städte buhlten anschließend um den Titel. Eine von der Kultusministerkonferenz auserkorene Jury empfahl im April 2005 dann Essen und Görlitz nach Brüssel.

Bereits vor drei Wochen hatte sich die siebenköpfige Brüsseler Jury über die Bewerbungen gebeugt. Isaacs ließ sich gestern trotzdem Zeit, bis er die Entscheidung verkündete. Erst gratulierte er den beiden anderen europäischen Kulturhauptstädten 2010: Das türkische Istanbul und die ungarische Stadt Pécs. Gesetzt den Fall, der Ministerrat der Europäischen Union folgt im Herbst der Jury-Empfehlung. Was aber als reine Formsache gilt.

„Essens Bewerbung war sehr, sehr stark“, so Isaacs. Das Ruhrgebiet versuche, den Schmutz und Staub der vergangenen Jahre zu beseitigen. Auch das multikulturelle Engagement habe die Jury überzeugt, sagte der Jury-Chef, um letztlich zu dem Schluss zu kommen: „Was uns Essen vorgeschlagen hat, wird sich auf ganz Europa auswirken.“

Aber auch warnende Töne hatte Isaacs auf Lager: „Der einfache Teil der Bewerbung ist für sie jetzt vorbei“, rief er den Siegerstädten zu – „nun beginnt die harte Arbeit!“ Bei der aus dem Revier angereisten Delegation war daran gestern allerdings noch nicht zu denken. Es herrschte vor allem Erleichterung.

„Anfangs hat niemand daran geglaubt – und jetzt haben wir es doch geschafft“, sagte der Chef des Essener Bewerbungsbüros, Jürgen Fischer. Essens Kulturdezernent Oliver Scheytt war „überglücklich, stolz und dankbar“. „Alle Städte und Köpfe der Region haben die Bewerbung angeschoben.“ Das sei eine grandiose Gemeinschaftsleistung.

Auf der Rückfahrt aus Brüssel im „Bistro-Liner“, einem Bus mit integrierter Küche, floss Schampus in Plastikbecher, unentwegt klingelten Handys, Menschen gratulierten. Zur selben Zeit feierten im Essener Rathaus hunderte Menschen. Auch der Essener Oberbürgermeister Wolfgang Reiniger (CDU), der offenbar einen Anteil am Erfolg hat. Er erzählte der Jury vor Wochen, wie er früher kohleschwarze Füße beim Fußballspielen bekam. Jury-Chef Isaacs führte diese Anekdote in seiner Begründung an.

Am Abend wurde die Siegesfeier in der Essener Innenstadt und auf der Zeche Zollverein fortgesetzt. Und heute folgt der Blick nach vorn: Bis 2010 sollen etliche Projekte angeleiert werden. Unter anderem, so Fischer, plane man gemeinsame Veranstaltungen mit Görlitz. Im Sommer soll eine Betreibergesellschaft gegründet und später ein Zeremonienmeister benannt werden: Im Herbst will Fischer einen künstlerischen Leiter küren, der sich um die Projekte kümmert. Namen wollte der Chef-Bewerber gestern noch nicht verraten.

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