Zu selbständig fürs Jugendamt

Zwei 16-jährigen Schwestern wird die Unterstützung verweigert – mit absurden Folgen: Weil sie keine Wohnung finden, müssen sie jetzt möglicherweise ins Mädchenhaus

von Jessica Riccò

„Mit 16 feiert man jeden Tag Parties und reiert in Nachbars Büsche“, meint der Vermieter. „Nein“, kontert das Jugendamt, „mit 16 ist man schon alt genug, um alleine zu wohnen. Vor allem, wenn man zu zweit ist.“

Stephanie und Katharina sind Zwillingsschwestern. In zwei Jahren machen sie voraussichtlich ihr Abitur. Seit ihren Eltern das Sorgerecht vor 14 Jahren entzogen wurde, leben sie bei ihrer Großmutter in Utbremen. Eine Lösung, mit der alle Beteiligten zufrieden waren. Auf Grund gesundheitlicher Probleme der Großmutter müssen Stephanie und Katharina sich jetzt aber eine eigene Bleibe suchen. Das Jugendamt erweist sich dabei als keine große Hilfe.

Die Bremer Arbeitsgemeinschaft für Integration und Soziales (BAgIS) hat zunächst die Kosten für eine Wohnung übernommen. Ein Dach über dem Kopf garantiert dies aber noch lange nicht. Das Argument der bisher 30 Absagen ist immer dasselbe: Nein, minderjährige Mieter wolle man hier nicht. Auch die Gewoba verweigert den Mädchen einen Mietvertrag. Es sei Aufgabe des Jugendamtes, eine Unterkunft und eventuelle Betreuung bereitzustellen. Zur Not müssten sie eben ins Mädchenhaus. Dazu sei es schließlich da.

Nicht ganz. Mädchenhäuser sind zwar für Mädchen. Aber für solche, die häusliche Gewalt erleben oder unter anderen massiven Problemen leiden. Stephanie und Katharina aber sind selbstbewusst und stehen auf eigenen Füßen. Wie auch viele Auszubildende ihres Alters, die ebenfalls allein wohnen und nicht in Mädchenhäusern.

Einen wöchentlichen Besuch von einem Sozialarbeiter würden sich Stephanie und Katharina aber dennoch wünschen. Das Jugendamt hält das nicht für nötig. Ihre Großmutter könnte sich schließlich auch telefonisch nach dem Wohlbefinden der Enkelinnen informieren.

Für solche Fragen bräuchten die Mädchen jedoch keinen Sozialarbeiter. „Momentan kommen wir gut klar, aber auf längere Sicht hätten wir gerne Unterstützung. Bei Formularen zum Beispiel.“ Katharina weiß, wovon sie spricht. Sie und ihre Schwester beziehen ALG II.

Einerseits ist es den Schwestern zum Verhängnis geworden, vom Jugendamt für sehr erwachsen gehalten zu werden. Andererseits gab ihnen ein Mitarbeiter des Jugendamtes den Ratschlag, in Zeitungsanzeigen nach Wohnungen zu suchen. Will das Jugendamt Mädchen, die es scheinbar für sehr naiv hält, tatsächlich sich selbst überlassen?

Um die Unterstützung des Jugendamtes bei der Wohnungssuche einzufordern, hat Matthias Westerholt, der Anwalt der Mädchen, jetzt einen Eilantrag beim Verwaltungsgericht gestellt. „Träger von der Jugendhilfe müssten eine Wohnung bereitstellen und gleichzeitig eine wöchentliche Betreuung garantieren“, so Westerholt.

Ende Mai läuft der Mietvertrag der Wohnung ihrer Großmutter aus. Wenn sie bis dahin von keinem Vermieter akzeptiert werden und auch das Jugendamt Stephanie und Katharina keinen wöchentlichen Sozialarbeiter beisteuert, müssen sie ins Mädchenhaus ziehen. Da gibt es jedenfalls fünf SozialarbeiterInnen und eine Köchin. Die Kosten dafür müsste das Jugendamt tragen.

Das Jugendamt wiederum bestreitet auf Nachfrage, dass die beiden demnächst ins Mädchenhaus müssen. „Auf die Straße werden die Schwestern aber auch nicht gesetzt“, versichert Susanne Heyn, die zuständige Sachbearbeiterin. Wo Stephanie und Katharina dann aber unterkommen sollen, bleibt damit jedoch unbeantwortet.