PRO & CONTRA: LIEGT IN DER VERTEILUNGSPOLITIK DIE SPD-ZUKUNFT? JA
: Gerechtigkeit ist das Ziel

SPD-Chef Kurt Beck ist noch kaum im Amt, da wird er schon mit widersprüchlichen Ratschlägen bedrängt. Solidarisch soll die SPD bleiben, aber auch moderner werden. Was soll das heißen? Beck hat sich dazu bisher nicht geäußert. Statt über Inhalte redet er lieber über Zielgruppen. Auch Ingenieure, Ärzte und Anwälte will er für die SPD gewinnen –aber nicht die kleinen Leute vernachlässigen.

Das klingt nach harmonischer Volkspartei, in der sich alle Konflikte durch Moderation erledigen lassen. Diese Hoffnung beseelte auch schon Platzeck: Er setzte auf Bildung und individuelle Lebenschancen, weil er die leidigen Verteilungsfragen umgehen wollte. Wenn jeder Bürger für sich selbst sorgen könnte, würden sich die Konflikte um Besitz und Einkommen erübrigen.

Leider wird dabei die Realität ausgeblendet. So wichtig es ist, alle Menschen umfassend auszubilden – Gerechtigkeit folgt daraus nicht. Auch Akademiker erleben längst, dass ihr Einkommen sinkt. Seit Jahren geht die Entlohnung der Beschäftigten zurück, während die Kapitaleinkünfte der Besitzenden steigen. Diese soziale Ungerechtigkeit kann die Politik nicht ignorieren. Schon heute ist die Partei der Nichtwähler die größte Partei.

Sinkende Einkommen schaden auch den Unternehmern, weil die Kunden wegbleiben. Firmenchefs sehen dies nicht unbedingt ein, weil sie eher betriebswirtschaftlich als volkswirtschaftlich denken. Deswegen wird eine SPD gebraucht, die das Wort Verteilungsgerechtigkeit nicht scheut.

Aber sind die Unternehmer nicht übermächtig? Sie könnten doch einfach ins Ausland abwandern. So beliebt die These von der Steuerflucht ist: Empirisch nachweisen lässt sich nicht, dass Firmen extra umziehen, um Steuern zu sparen. Anders ist es bei transnationalen Konzernen, die in mehreren Ländern zu Hause sind: Sie verschieben ihre Gewinne tatsächlich dorthin, wo die günstigsten Steuerkonditionen gelten. Doch können die Staaten nicht in einen Steuerwettbewerb nach unten eintreten. Stattdessen geht es um Harmonisierung. Das erfordert zähe Verhandlungen, die nur Erfolg haben können, wenn das Ziel klar ist: Verteilungsgerechtigkeit. Sonst haben die Unternehmen sowieso schon gewonnen. ULRIKE HERRMANN