Stürme des Exils

Ich bin von dort, ich bin von hier. Ich bin nicht dort. Ich bin nicht hier

VON ABDIRAHMAN OSMAN (SOMALIA)

Exil besteht üblicherweise darin, dass man in einem fremden Land lebt, weil man – vor allem aus politischen Gründen – nicht in seinem Ursprungsland leben kann. Doch für das Wort Exil gibt es inzwischen unterschiedliche Definitionen. So sagt der palästinensische Dichter Mahmud Darwish: „Ich bin von dort, ich bin von hier. Ich bin nicht dort. Ich bin nicht hier. Ich habe zwei Namen, die sich treffen und die auseinandergehen, und ich habe zwei Sprachen. Ich vergesse, in welcher ich träume?“

Janet Frame, eine Schriftstellerin, die 2004 starb, drückte es so aus: „ Alle Schriftsteller – alle Lebewesen – sind naturgemäß Exilierte. Es gehört zu den Gewissheiten des Lebens, dass es eine Folge von Vertreibungen ist, aus welchen Bereichen des Lebens auch immer? Alle Schriftsteller sind Exilierte, wo immer sie auch leben, und ihr Werk ist eine lebenslange Reise auf der Suche nach dem verlorenen Land.“ Doch für mich ist das Leben im Exil mehr, es ist ein Leben als Fremder und Heimischer, das Leben eines Menschen, der sich von Zwängen befreit. – Vier Jahre ist es her, dass ich als aufstrebender Journalist in einer der pressefeindlichsten Regionen der Welt arbeitete, in Mogadischu in Somalia. Allein 2012 wurden dort 18 Journalisten umgebracht.

Nach mehreren Morddrohungen lebe ich heute in Bayern im Exil. Wenn man ein normales Leben jenseits der Heimat beginnt, tritt offenbar ein verbreiteter Effekt ein: Man vermisst alles. Das heißt nicht, dass man unglücklich ist. Ich habe gelernt, eine andere Gesellschaft und Kultur in meinem Leben zu akzeptieren, denn ich lebe nun mal an einem Ort mit anderen Gebräuchen. Ich muss in der Lage sein, mich unter unbekannten Bedingungen weiterzuentwickeln. Anders gesagt sehe ich das Exil als eine ungewohnte Art, das Bekannte von außen neu zu überdenken.

Im Exil muss ich gegen Stürme kämpfen. Wenn du in Deutschland nicht ausgebildet bist, kannst du nur als Hilfsarbeiter Arbeit finden. Meine Möglichkeiten, hier als Journalist zu arbeiten, sind sehr begrenzt. Doch trotz dieser Hindernisse fühle ich mich nicht um meine Träume und um mein Schicksal betrogen. Ich habe in einer Bäckerei gearbeitet und dabei im Frühjahr viel Brot für die Leute gebacken. Wenn man Journalismus und Brotbacken vergleicht, fühlt man den Unterschied sehr deutlich. Aber ich sagte ja, dass ich mich in einem Kampf der persönlichen Befreiung befinde.

2010, als ich neu in Deutschland war, stieß ich bei der Suche nach einem Hilfsarbeiterjob auf viele Hindernisse, weil ich damit keine Erfahrungen hatte. Immer wenn mich die Arbeitgeber um meinen Lebenslauf baten, wusste ich nicht, was ich vorweisen sollte, denn sie waren ja nicht an meinem journalistischen Werdegang interessiert. Einmal telefonierte ich mit dem Chef einer Firma, und er fragte mich, welche Arbeit ich in den letzten drei Jahren gemacht hätte. Ich sagte ihm, dass ich neu in Deutschland sei und zu Hause in Afrika als Journalist gearbeitet hätte. „Wir haben keine Jobs für Journalisten“. Er legte auf, bevor ich ihn umstimmen konnte.

Ich hielt inne, um nachzudenken, und war bestürzt. Aber ich wollte nicht in Schwermut verfallen und blieb stark. Und das brachte mich schließlich dazu, meinen Lebenslauf umzuschreiben. Andererseits übe ich meinen Beruf weiter aus und verfolge regelmäßig die Nachrichten, was zu Hause geschieht. Manchmal greife ich auch zum Telefon, frage nach, recherchiere und schreibe Artikel, in denen ich versuche, mich in die Lage dort einzufühlen. Ich will einfach nicht isoliert sein oder aufgeben. Wenn wir die Geschichten vergessen, dann vergessen wir die Stimmen der Opfer vor Ort.

In vielen Ländern müssen Journalisten ihre Familien verlassen und ihre Arbeit aufgeben. Sie verlieren ihre Qualifikation, manchmal sogar ihr Leben. Und das alles nur, weil sie ihre Geschichten erzählten.

2011 traf ich in München einen Musiker aus dem Senegal, der mir erzählte, dass er für eine Logistikfirma arbeite und manchmal mit seinen Freunden singe. Wir hörten uns einige seiner CDs an. Seine Lieder waren gut arrangiert. Er erzählte mir, dass er als Musiker in Deutschland nicht überleben könne, weil er nicht genügend Deutsch spreche und seine Musik nicht so populär sei.

Viele Exilierte – Schriftsteller, Journalisten und Musiker – nutzen heute das Internet für ihre Arbeit im Exil. Manche von ihnen erreichen damit Millionen von Herzen in ihren notleidenden Heimatländern. So kann sich auch das Leben im Ghetto manchmal in einen wunderbaren Traum verwandeln.

Ich hoffe, dass den Exilierten der Übergang in ihre neue Umgebung gelingt und sie die Vielfalt dieser neuen Welt genießen, auch wenn sie die Einschränkung erleben müssen, ihr selbst nur zum Teil anzugehören.

■  Abdirahman Osman, geboren 1984 in Somalia, lebt in München und wurde im Asylverfahren von Journalisten helfen Journalisten unterstützt. Er wurde als politischer Flüchtling anerkannt. Übersetzung: Thomas Pampuch