LESERINNENBRIEFE
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Besorgt aus mehreren Gründen

■ betr.: „De facto ein Berufsverbot, taz vom 21. 9. 13

„Was geht das Tuch die andern an?“, fragt Heide Oestreich.

Die Autorin lobt die „Empfehlung“ (richtig wäre: das Urteil) des Bundesverwaltungsgerichts, muslimischen Schülerinnen das Baden im Burkini im Schulunterricht zu erlauben (richtig wäre: sie dazu zu verpflichten). Hier wird das Dilemma deutlich, weil das Urteil keineswegs bedeutet, dass sich Schülerinnen wie muslimische Organisationen daran halten werden, was beide vereinzelt ausgedrückt haben.

Meiner Beobachtung nach verstehen sich die KritikerInnen des Kopftuchs nicht als Rechtsradikale oder Integrationsverhinderer, sondern sie sind im Gegenteil aus mehreren Gründen besorgt: Viele bezweifeln ganz einfach, dass die Kopftücher von Mädchen aus eigenem Antrieb getragen werden. Das wird aber nicht problematisiert. Viele werden von ihren Familien dazu verpflichtet, gehorchen dem Druck oder nehmen ihn vorweg. Das beweisen die weiter praktizierten Zwangsheiraten, wovon ca. 30 Prozent Minderjährige betroffen sind, davon sprechen die Ehrenmorde und ebenfalls die an in Deutschland lebenden verschiedenen afrikanischen Mädchen vorgenommenen Beschneidungen. Dafür spricht ganz deutlich, dass sich aus den Reihen der kopftuchtragenden Mädchen und Frauen selber so gut wie keine Äußerung dazu findet, welche Strafen bis hin zur Todesstrafe in verschiedenen Ländern diejenigen zu gewärtigen haben, die sich gegen das Kopftuch entscheiden.

Eine politische Äußerung aus den eigenen Reihen dazu wäre längst überfällig. Anders als noch in den siebziger Jahren gibt es offenbar in Deutschland keine feministischen Mädchen- und Frauengruppen mit muslimischem Hintergrund, was bemerkenswert ist, wenn man bedenkt, dass weltweit offenbar nur Mädchen und Frauen mit muslimischem Hintergrund an solchen Zusammenschlüssen keinerlei Interesse zeigen. Wir kennen lediglich die Äußerungen einzelner, meistens gebildeter erwachsener muslimischer Frauen, die darlegen, warum sie das Kopftuch freiwillig tragen oder es ablehnen, aber keine Mädchen- oder Frauengruppe, die selber definiert, was sie will, und zwar vor dem Hintergrund, was das Tragen oder Nichttragen in anderen Ländern für Strafen nach sich zieht. Das ist als durchaus bemerkenswert herauszustellen. Gäbe es eine Vielfalt dieser Gruppen mit eigenen, vielfältigen Begründungen für diese oder jene Seite, dann wäre es vermutlich allen KopftuchkritikerInnen egal, was die Frauen auf dem Kopf oder unter der Burka tragen.

Der Widerstand von „originär“ Deutschen ist hauptsächlich auf die Sorge zurückzuführen, dass diese jungen Mädchen und Frauen einer gewaltigen Gehirnwäsche und väterlichem Zwang unterliegen. Das wird noch unterstützt durch verschiedene Statistiken über junge, in Deutschland lebende und meist hier auch geborene muslimische Männer, über die es heißt, dass über 20 Prozent keinerlei Integration wollen, sich als stark religiös bezeichnen, was ein patriarchales Weltbild einschließt. Dazu kommt, dass die täglichen Nachrichten aus den muslimischen Ländern von offenbar hauptsächlich dialogunfähigen, gewaltbereiten Männern handeln, die sich nur in einem übereinstimmend zeigen: der mehr oder weniger offen praktizierten Frauenfeindlichkeit und religiösen Intoleranz. Die eingeborenen Europäer wissen meist noch, wie viele Jahrhunderte es gedauert hat, die bluttriefenden christlichen Fundamentalismen zurückzudrängen, und dass immer wieder Aufmerksamkeit vonnöten ist, um diese Ideologien nicht wieder ausbrechen zu lassen. Insofern wäre die Integrationsdebatte freundlicher und vor allem demokratischer, wenn man sicher sein könnte, es mit selbst denkenden und frei entscheidenden Individuen zu tun zu haben. Davon sind wir aber leider sehr weit entfernt. HELKE SANDER, DÄHRE

Religion bleibt Privatsache

■ betr.: „De facto ein Berufsverbot, taz vom 21. 9. 13

Warum übernimmt die Autorin dieses ansonsten so klugen und richtigen Beitrags die offizielle Lesart, dass das Tragen eines Kopftuches eine „religiöse Bekundung“ sei? War es das auch bei den deutschen Marktfrauen der 50er und 60er Jahre? Sind Rastalocken eine religiöse Bekundung? Und was genau ist eine „religiöse Bekundung“: bereits das Signal einer möglichen religiösen Zugehörigkeit (Halskette mit Kreuz, Schläfenlocken) oder nur die eindeutige Botschaft („Jesus saves“ – aber das könnte ja auch satirisch gemeint sein)? Wie kann man mit den Maßstäben eines säkularen Rechtsstaates bewerten, was eine Mode ist und was eine religiöse Bekundung? Müssen wir das überhaupt entscheiden?

Und: Ein Kleidungs- oder Schmuckstück an einer Person ist doch nicht dasselbe wie ein an oder in einem öffentlichen Gebäude vom Betreiber dieses Gebäudes angebrachtes Symbol! Wie kann man die (zu fordernde) Säkularität des öffentlichen Raumes in einen Topf werfen mit der (nur unter sehr engen Voraussetzungen zu verlangenden) religiösen Neutralität der Erscheinung einer Person? Es ist rechtlich unerheblich, wie eine Person die Wahl ihrer Kleidung, ihres Schmuckes oder ihrer Frisur für sich selbst begründet. Es sollte allein darum gehen, ob dieser Ausdruck der eigenen Identität die im betreffenden Kontext angestrebte soziale Interaktion (Schulunterricht, Gerichtsverhandlung, Brötchenverkauf usw.) stört. Damit ist die Grenze zwischen Kopftuch und Burka in der Schule gezogen – aber Burka im Callcenter dürfte kein Problem sein, solange das Mikrofon unter dem Schleier getragen wird.

Die Frage, inwieweit einheitliche Bekleidungsvorschriften für bestimmte Ämter oder Firmen die individuelle Ausdrucksfreiheit verdrängen können, dürfte auch grundsätzlich geklärt sein. Die Trägerinnen von Kopftüchern müssen ihrerseits akzeptieren, dass die Gesellschaft keinen Unterschied zwischen Kopftuch und Irokesenfrisur macht: Religion bleibt ihre Privatsache. Damit würde sich mancher Streit erledigen, vielleicht sogar manches Kopftuch verschwinden. MATTHIAS KNUTH, Hattingen