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Hasen geben Fersengeld

In Berlin kommt statt des Osterhasen das Osterkarnickel: Während die Feldhasen an den Stadtrand fliehen, drängen die Kaninchen ins Zentrum

„Ums Kanzleramt hüpfen überall Karnickel herum“

VON SOPHIE DIESSELHORST

Erst die schlechte Nachricht: „In Berlin gibt es nahezu keine Hasen mehr“, sagt Derk Ehlert, Jagdreferent der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung. Der Lepus europaeus, im Volksmund Feldhase, sei sehr wählerisch, was seine Nahrung betrifft: „Die bestimmten Kräuter, die er benötigt, gibt es nur auf großen wilden Wiesen“, erklärt Ehlert. Und die sind in einer Großstadt wie Berlin relativ selten.

„Selbst wenn die richtigen Kräuter in einem großen Park in der Innenstadt wüchsen, würden sich keine Hasen dort ansiedeln“, so Ehlert. Denn: Die Tiere sind entgegen dem Osterhasenmythos extrem menschenscheu. „Hasen gelten als sensible Einzelgänger und haben eine hohe Fluchtdistanz“, erklärt Herbert Lohner, Referent beim Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND). Sogar auf dem Land seien die Hasenbestände gefährdet: „Der Hase legt seine Jungen nach der Geburt in einer flachen Mulde im Boden ab. Wenn dies auf einem bebauten Feld geschieht, werden die kleinen Hasen oftmals beim Mähen getötet.“ Deshalb steht der Lepus Europaeus mittlerweile unter strengem Naturschutz und darf nicht gejagt werden. „Wir sind froh über jeden Feldhasen, den wir sehen“, beschreibt Derk Ehlert die prekäre Situation.

In Berlin kann man laut Herbert Lohner nur in den Randgebieten noch den „Originalhasen“ sichten: „Es gibt sie noch in Lübars, Gatow und im Nordosten der Stadt – in den Gebieten also, die über Felder zugänglich sind.“ Ein weiterer Grund, warum die scheuen Nager von der Berliner Innenstadt fernbleiben, seien die vielen hungrigen Füchse: „In Berlin leben ungefähr 5.000 Füchse“, sagt Lohner. Auch Hunde, die ohne Leine herumlaufen, stellten eine Gefahr für Feldhasen dar.

Nun die gute Nachricht: Die fehlenden Hasen werden zahlreich vertreten von ihren kleinen Brüdern, den Kaninchen. „Kaninchen gibt es fast überall: In Parks wie der Jungfernheide oder der Hasenheide, im Tiergarten und sogar auf dem Flughafengelände in Tegel“, sagt Derk Ehlert.

Im Gegensatz zu den Feldhasen lebten Kaninchen mittlerweile nur noch innerhalb von Städten. Sie haben laut Herbert Lohner keine Angst vor Füchsen: „Das liegt daran, dass es in Berlin viel mehr Kaninchen gibt, als die Füchse überhaupt fressen können.“ Nur auf kleine Privatgrundstücke würden sich die Nager meist nicht trauen, denn dort bestehe die Gefahr, dass sie von den Besitzern oder deren Hunden und Katzen vertrieben werden.

Das gemeine Wildkaninchen ist viel kleiner als der Hase, hat kürzere Ohren und kürzere Hinterbeine. Auch in ihrer Lebensweise unterscheiden sich Hase und Kaninchen erheblich. Kaninchen leben in großen Gruppen und legen sich unterirdische Gangsysteme an, in die sie sich in Gefahrensituationen zurückziehen können.

Das schafft in einer Stadt Probleme: „Beim Buddeln ihres Baus nagen die Kaninchen oft so stark an Baumwurzeln, dass die Bäume oder Büsche absterben“, sagt Derk Ehlert. Auch Heike Tielscher vom Grünflächenamt Mitte kann ein Lied von Kaninchenproblemen singen: „Die Schäden, die insbesondere an Neupflanzungen und Staudenflächen festzustellen sind, sind in Wert ausgedrückt etwa 5.000 Euro für Nachpflanzungen im Jahr.“

Die Kaninchen unterhöhlten Wege und buddelten unschöne Löcher in die Berliner Grünanlagen. „Auch Bahndämme sind bei Kaninchen sehr beliebte Behausungen“, ergänzt Jagdreferent Ehlert.

Wenn die Zerstörung überhand nimmt, werden die Nager gezielt von Frettierern gejagt. „Die Frettierer jagen ein Frettchen in den Kaninchenbau und fangen das aus dem Bau flüchtende Kaninchen dann in einem Netz“, erklärt Ehlert.

Im vergangenen Jahr seien in Berlin ungefähr 300 Kaninchen gefangen worden. Das sei nichts im Vergleich zu früheren Zeiten: „Vor zwölf Jahren gab es so viele Kaninchen in Berlin, dass die sogar auf dem Kurfürstendamm und auf dem Theodor-Heuss-Platz herumgehoppelt sind.“ 90 Prozent von ihnen seien vor zwei Jahren durch die Kaninchenseuchen RDH und Myxomatose dahingerafft worden.

„Mittlerweile nimmt die Anzahl der Stadtkaninchen aber wieder zu“, sagt Ehlert. Die Seuchen seien zwar noch nicht ganz ausgerottet, aber solange die Tiere isoliert innerhalb einzelner Gruppen lebten, sei die Ansteckungsgefahr gering. „Gucken Sie sich mal zur Abenddämmerung rund ums Kanzleramt um: Da werden Sie jetzt schon wieder überall Karnickel herumhüpfen sehen.“

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