Deutsche in Italien

Cappuccino al dente

Der Deutsche tritt in Italien in zwei Erscheinungsformen auf.

Erstens: als Deutscher. Er bringt seine Heimat mit, in Form von Sandalen und nationalem Liedgut, Bier und Würstchen, Preisbewusstsein und Rechnungskontrolle. In der Regel begleiten ihn auch Erbsenzählerei und weiße Socken. Die Italiener nehmen das Kreuz, das sie saisonal überfällt, auf die leichte Schulter: Sie richten kleinere Kolonien ein (so etwa den „Teutonengrill“). Seit je betrachten sie ihre Gäste ja unter praktischen Gesichtspunkten, als Kunden, deren Marotten zu berücksichtigen sind. So nutzen beispielsweise die Informationsbüros zahlreicher Kommunen die Beschwerdebriefe deutscher Urlauber über Prospekte in fehlerhaftem Deutsch inzwischen als Adressenpool für die nächste Saison; die Prospekte werden selbstverständlich nicht korrigiert.

Zweitens: als Italiener. Es handelt sich um den klassischen Einzelreisenden mit dem leicht verschwimmenden Toskanablick, vermögend oder intellektuell, mit einigen Sprach- oder Landeskenntnissen. Er möchte unter keinen Umständen für einen Deutschen gehalten werden, sondern mehr so als mediterraner Typ durchgehen. Er meidet andere Deutsche und sucht das unberührte Ambiente oder die typische Küche. Er parkt das Auto mit dem deutschen Nummernschild in der Peripherie, samt Reiseführer oder Kamera, weiß die Weine und Olivenöle auseinander zu halten und verbreitet anschließend in der Heimat Rucola oder aceto balsamico resp. lardo di Colonata (im ersten Fall hätten die Produzenten in Modena den heutigen Bedarf schon vor zwanzig Jahren voraussehen müssen, im zweiten müssten im winzigen Ort Colonata inzwischen zehntausende von Schweinen durch die Straßen laufen …)

Den Italienern fällt es allerdings nicht schwer, diesen erfreulichen Kunden als Deutschen zu erkennen, nämlich als Geizkragen, Nickaugust, Pauker, Neidhammel, Kleinkrämer, kurz: als Germanen. Der liebt bekanntlich die Wildnis und die Einsamkeit, und kann er die nicht in der Uckermark haben, dann wenigstens auf einem podere mit Zypressenallee und nummerierten Olivenbäumen. Dort spielt er tagsüber Bauer und bevölkert abends die umliegenden Restaurants und erschreckt den Wirt damit, falls in Gesellschaft, dass jeder für sich bezahlt, was allgemein „pagare al tedesco“ genannt wird, „auf Deutsch zahlen“. Fragt ihn der Wirt, ob es geschmeckt habe, nickt er ergeben, statt die Speisen ordnungsgemäß zu rezensieren. Er lobt nicht nur die bellavista, sondern überprüft sie durch Abschreiten. Statt ein schönes Anwesen detailliert zu bewundern, fragt er sofort, woher und mit welchen Mitteln der Besitzer so viel Geld habe zusammenraffen können.

Ein Deutscher eben, das sieht auch der kleinste Italiener. Aber auch dieses Kreuz will getragen sein, es handelt sich schließlich um Kunden. KLAUS WAGENBACH

Fotohinweis: KLAUS WAGENBACH, 1930 in Berlin geboren, lernte Buchhändler und promovierte zum Geisteswissenschaftler. 1964 gründete er seinen eigenen Verlag in Berlin. Anfang 2002 zog er sich aus dessen Leitung zurück und arbeitet seitdem als Lektor.